Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition)
nur um einige Jahre versetzt in den Untergang folgen.
(Dr. Erik Zimen; Wolf Magazin 1/1996)
Mit dem Wolf in uns leben
Psychologische Aspekte der Wolfsfolklore
Wenige werden abstreiten, dass, wenn es um den Fortbestand des Wolfes geht, die menschliche Einstellung ausschlaggebender ist als rein wirtschaftliche Faktoren. Für die meisten Menschen war der Wolf nicht nur ein zu fürchtender Nahrungskonkurrent, sondern auch das Hauptsymbol einer ungezähmten Natur, der Wildnis, die den menschlichen Fortschritt verhindert. Von dem Wort „Wolf“ überschattet werden so viele negative menschliche Assoziationen, dass das Tier selber hinter seinem Namen verschwindet. In der modernen, städtischen Gesellschaft, die schon längst ihren Kontakt zu Tieren verloren hat, wird das Wort nur stets mit menschlichen moralischen Fehlern in Verbindung gebracht wie unersättlichem Hunger, Lust, Gier und Betrug. Warum haben wir dieses Tier zur Fundgrube aller negativen Qualitäten gemacht? Und was bedeutet es, dass wir nun ein Interesse daran haben, den Wolf zurückzubringen?
Viel von dem traditionellen Hass und der Verfolgung von Wölfen wird mit den wirtschaftlichen Verlusten in Verbindung gebracht, die wir durch sie erlitten haben. Dennoch möchte ich mich auf einige der dunklen, psychologischen Grundlagen dieser Feindschaft konzentrieren. Für eine Änderung unserer Einstellung gegenüber den Wölfen ist es sicherlich wichtig, als Erstes zu unterscheiden zwischen den Tieren selber und den symbolischen Fantasie-Tieren, die wir erfunden haben. Aber das ist keine einfache Aufgabe.
Statt das Verhalten von Tieren als Anpassung an ihre Umwelt zu verstehen, neigen wir Menschen dazu, sie mit menschlichen Attributen und moralischen Qualitäten zu versehen. Wir sagen, sie sind schön oder hässlich, gut oder böse. Indem wir die Tiere vermenschlichen, können wir versteckte Urteile über uns selbst aussprechen. Menschen als Schweine, Ratten, Schlangen oder Wölfe zu bezeichnen, verzerrt nicht nur das Vertrauen zu diesen Tieren, sondern es ist auch ein indirekter Weg, die unangenehmen Aspekte von uns selbst zu kommentieren, ohne in den Spiegel schauen zu müssen. Der offensichtliche Mangel an moralischen Hemmungen, den wir in den Tieren sehen, macht sie zu guten Metaphern für Menschen, die kulturell definierte moralische Grenzen überschreiten.
In unserer Gesellschaft sind die Grenzen zwischen Gut und Böse traditionell gezogen worden durch die Wechselbeziehung zwischen dem, was zivilisiert und dem, was als wild angesehen wird. Wildnis bedeutet nach der Definition des Lexikons: „Das Fehlen von moralischen oder sozialen Schranken.“ Was wild ist, ist ohne Regeln, irrational, unvorhersehbar, außer Kontrolle. In diesem Zusammenhang bezieht sich das Wort „wild“ auf beides, das Chaos der Natur außerhalb unseres Einwirkungsbereiches und unser eigenes, ungeregeltes, biologisches Bedürfnis. Was für uns zivilisiert bedeutet, ist auf der anderen Seite rationale Kontrolle unserer Impulse und die Herrschaft über die Kräfte der Natur
Tiere im Allgemeinen dienen als Symbol für die Wildnis in uns, die sich dem rationalen oder moralischen Fortschritt in den Weg zu stellen scheint. Die Tiere, die in unserer Hierarchie der emotionalen Beurteilungen am negativsten erscheinen, sind diejenigen, denen wir am meisten einen Mangel an sozialen oder moralischen Hemmungen unterstellen. Unsere Antipathie gegenüber diesen Tieren reflektiert unsere Angst über den eigenen Mangel an Selbstkontrolle. Wenn wir Menschen als „Tiere“ bezeichnen, meinen wir damit, dass sie triebhaft, zügellos, unsauber, ruhelos und grausam sind.
Wölfe sind der Urtyp des wilden Tieres mit allen Bedeutungen, die das Wort „wild“ für uns im Sinne von ungezähmtem, moralischem Verhalten hat. Als Ergebnis haben Wölfe seit über 2.500 Jahren als Metapher für unsere eigenen kriminellen Bedürfnisse und grausamen Wünsche gedient. Ein Autor schrieb 1930 über Werwölfe, dass „die besonderen Kennzeichen des Wolfes (...) ungezähmte Grausamkeit, bestialische Wildheit und gieriger Hunger sind. (...) Er ist das Symbol der Nacht und des Winters, von Krisen und Sturm und ein dunkler Vorbote des Todes.“
In der Bibel ist der Wolf das Sinnbild für Verrat: „Hütet euch vor falschen Propheten, die in der Kleidung eines Schafes zu euch kommen, innerlich aber gierige Wölfe sind.“
Homer beschrieb den Wolf in der Ilias als ein Symbol von Wildheit und außerordentlich
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