Mit den Augen eines Kindes
zusammen mit seinem Freund Sven die Bude auf den Kopf gestellt und sich anschließend kopfüber in die Sandkiste gegraben.
Wir mussten uns – ob es uns gefiel oder nicht – damit abfinden, dass kurz darauf rücksichtslose Autofahrer viel zu schnell in die Kurve gingen und unserem Sohn mit seinem nagelneuen Fahrrad ohne Stützräder – mit dem er gar nicht allein unterwegs sein sollte – nur einen Fluchtweg ließen, den viel zu hohen Kantstein der Gosse, sodass er mit blutender Nase, aufgeschürften Knien und demoliertem Rad in der Kerpener Polizeiwache abgeholt werden musste. Hanne weigerte sich jedoch, ihm zu glauben, er sei auf der Flucht vor zwei finster dreinblickenden Motorrad-Rockern gewesen.
Hanne war übrigens meine Frau, das heißt, verheiratet waren wir nicht. Nachdem sich die Auflösung meiner ersten Ehe über ein ganzes Jahr hingezogen hatte, in dem verdammt viel und ausschließlich meine dreckige Wäsche gewaschen worden war – und ich ein kleines Vermögen an Anwaltshonoraren und Gerichtsgebühren hatte hinblättern müssen – war ich in diesem Punkt etwas vorsichtiger geworden. In einem anderen leider nicht.
Dieser andere Punkt war Maren – das Weib, wie meine Mutter es ausdrückte. Wie viele schlaflose Nächte sie mich in den letzten zwanzig Jahren gekostet hat, weiß ich wirklich nicht mehr. Selbst jetzt zittere ich noch, wenn bloß ihr Name fällt. Maren Koska und Konrad Metzner, da konnte man in sehr jungen Jahren so schön mit den Anfangsbuchstaben der Namen spielen. Später spielten wir mit anderen Dingen. Zuletzt um das Leben meines Sohnes. Ich habe es nur viel zu spät begriffen oder wollte es mir nicht rechtzeitig eingestehen.
1971 bis 1974
Es gibt ein Foto aus der Zeit, in der meine verhängnisvolle Affäre begann, auf dem bin ich nur ein Jahr älter als mein Kleiner. Ich ging seit zwei oder drei Monaten zur Schule. An einem Vormittag wurden wir alle hinaus auf den Pausenhof gescheucht. Bitte im Halbkreis Aufstellung nehmen fürs Gruppenbild mit Dame – sprich unsere Lehrerin. Die Kleinen nach vorne, bitte hinsetzen, damit man von der mittleren Reihe auch etwas sieht.
Maren war eine von den Kleinen damals. Wie eine kostbare Puppe sitzt sie da auf dem Foto mitten in der ersten Reihe. Im Schneidersitz, das weißblonde Haar umrahmt ein feines Gesicht. Der zierliche Körper ist umhüllt von einem hellblauen Gespinst, das andere Mütter ihren Töchtern wohl nur zu irgendeiner Hochzeit angezogen hätten. Maren trug solch kostbare Gewänder jeden Tag und nie öfter als dreimal.
Während das Proletariat – also ich und meinesgleichen – jeden Morgen bei Wind und Wetter zu Fuß antrabten, wurde Maren Koska von Mami im Mercedes vorgefahren und nach Schulschluss natürlich auch wieder abgeholt. Und wehe, es fiel mal eine Stunde aus und Mami wurde nicht rechtzeitig informiert. Dann kam am nächsten Tag Papi und machte der Schulleitung die Hölle heiß. Einmal habe ich das erlebt. Nun gut, sie wohnten etwas außerhalb, umgeben von sehr viel Grün, nahe der Boelcke-Kaserne am Rand des Gewerbegebiets. Das war ein weiter und gefährlicher Schulweg für ein kleines Mädchen in Lackschuhen, das Papi und Mami am liebsten unter eine Glasglocke gesetzt hätten.
Zu der Zeit muss Maren ein sehr einsames Kind gewesen sein. Mit ihr spielen wollte keiner, weil sie daran gewöhnt war, zu kommandieren. Es durfte auch niemand mit ihr spielen. Das ging nicht von ihren Eltern aus. Mami hätte sich wohl mal erbarmt und nachmittags irgendein kleines Mädchen mit dem Mercedes abgeholt, um dem Töchterlein ein wenig Unterhaltung zu verschaffen. Aber selbst wenn eine unserer Mitschülerinnen bereit gewesen wäre, sich einige Stunden lang schikanieren zu lassen, da spielten die anderen Eltern nicht mit.
Es kursierte nämlich das Gerücht, Mami habe in jungen Jahren als Bordsteinschwalbe gearbeitet, so nannten das die anständigen Leute zu der Zeit. Keine Ahnung, wer es in Umlauf gebracht hatte, vielleicht einer, der sich früher mal eine halbe Stunde mit Mami geleistet hatte. Auch Marens Vater galt als zwielichtige Figur. Er betrieb einen schwunghaften Handel mit Gebrauchtwagen. Wer bei ihm kaufte, war meist zufrieden. Wer an ihn verkaufte, klagte jedoch kurz darauf, er wäre reingelegt worden. Später kamen noch Baumaschinen dazu. Seine Gewinne investierte Koska in Häuser wie beispielsweise das, in dem mein Vater für drei Zimmer, Küche, einen schmalen Flur und ein winziges Bad Miete zahlte. Da fiel dann
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