Mit der Reife wird man immer juenger
Knaben,
Gib dich hin und fürcht das Sterben nicht!
D er Frühling ist für alte Leute meistens keine angenehme Zeit. So wie der Föhn an den Bäumen rüttelt und jeden alten Baum Ast um Ast abtastet, ob er ihn nicht abknicken könne, so rüttelt der Frühling an den alten Leuten, ob sie bald morsch genug seien. Schön ist er aber dennoch.
(Aus einem Brief Ostern 1948 an Karl Kloter)
A uf eine menschenwürdige Art alt zu werden und jeweils die unserem Alter zukommende Haltung oder Weisheit zu haben, ist eine schwere Kunst; meistens sind wir mit der Seele dem Körper gegenüber entweder voraus oder zurück, und zu den Korrekturen dieser Differenzen gehören jene Erschütterungen des inneren Lebensgefühles, jenes Zittern und Bangen an den Wurzeln, die uns je und je bei Lebenseinschnitten und Krankheiten befallen. Mir scheint, man darf ihnen gegenüber wohl klein sein und sich klein fühlen, wie Kinder durch Weinen und Schwäche hindurch am besten das Gleichgewicht nach einer Störung des Lebens wiederfinden.
(Aus einem Brief vom 22. 5. 1935 an Joseph Feinhals)
W as die Weisheit des Alters gegenüber den Leidenschaften betrifft, so ist sie ja schon eine gute Sache, aber das Alter bringt, weil es auch ein Stück Leben ist, eben immer wiederneue Lagen, denen gegenüber wir nicht weise sind, weil sie neu sind und Neues fordern. So macht man weiter Versuche und Dummheiten, und hat vor den Jüngeren nichts voraus als ein Plus an Geduld.
(Aus einem Brief um 1945 an Else Marti)
M an blickt im hohen Alter mit merkwürdigen Betrachtungen auf ein langes, abgelaufenes Leben zurück. Die zweite Hälfte meines Lebens war die dramatische, reich an Kämpfen, reich an Feinden, an Not und schließlich an allzuvielen Erfolgen. Aber die Kraft zum Überstehen dieser unruhigen Lebenshälfte kam von der ersten, stilleren Hälfte her, von den nahezu vierzig Jahren des Friedens, die ich erleben durfte. Man hat vom Krieg als einem Stahlbad gesprochen. Nach meiner Erfahrung ist es aber nur der Friede, der fördert und Kräfte gibt.
(Aus einem Rundbrief vom August 1958)
W as wäre mit uns Alten, wenn wir das nicht hätten: das Bilderbuch der Erinnerung, den Schatz an Erlebtem! Kläglich wäre es und elend. So aber sind wir reich und tragen nicht nur einen verbrauchten Leib dem Ende und Vergessen entgegen, sondern sind auch Träger jenes Schatzes, der so lange lebt und leuchtet, als wir atmen.
(Aus einem undatierten Brief)
Müder Abend
A bendwindes Lallen
Klagt erstickt im Laub,
Schwere Tropfen fallen
Einzeln in den Staub.
Aus den mürben Mauern
Moos und Farne quellen,
Alte Leute kauern
Schweigend auf den Schwellen.
Krumme Hände lasten
Still auf steifen Knien,
Geben sich dem Rasten
Und Verwelken hin.
Überm Friedhof flügeln
Krähen schwer und groß.
Auf den flachen Hügeln
Wuchert Farn und Moos.
M it der Weisheit geht es uns wie dem Achilles mit der Schildkröte. Sie ist immer ein Stück voraus. Zu ihr unterwegs zu sein, ihrer Anziehungskraft zu folgen, ist dennoch ein guter Weg.
(Aus einem Brief um 1950 an Hans Huber)
W underbarer Zauber, glühend trauriger Zauber der Vergänglichkeit! Und noch wunderbarer, dasNichtvergangensein, nicht Erloschensein des Gewesenen, sein geheimes Fortleben, seine geheime Ewigkeit, seine Erweckbarkeit in der Erinnerung, sein Lebendigbegrabensein im stets wieder zu beschwörenden Wort!
(Tagebuch vom 14. 5. 1955)
Der alte Mann und seine Hände
M ühsam schleppt er sich die Strecke,
Seiner langen Nacht,
Wartet, lauscht und wacht.
Vor ihm liegen auf der Decke
Seine Hände, Linke, Rechte,
Steif und hölzern, müde Knechte,
Und er lacht
Leise, daß er sie nicht wecke.
Unverdrossener als die meisten
Haben sie geschafft,
Da sie noch im Saft.
Vieles wäre noch zu leisten,
Doch die folgsamen Gefährten
Wollen ruhn und Erde werden.
Knecht zu sein,
Sind sie müd und dorren ein.
Leise, daß er sie nicht wecke,
Lacht der Herr sie an,
Langen Lebens Bahn
Scheint nun kurz, doch lang die Strecke
Einer Nacht … Und Kinderhände
Jünglingshände, Manneshände
Sehn am Abend, sehn am Ende
So sich an.
Kaminfegerchen
A m Karnevals-Dienstagnachmittag mußte meine Frau rasch nach Lugano. Sie redete mir zu, ich möchte mitkommet, dann könnten wir eine kleine Weile dem Flanieren der Masken oder vielleicht einem Umzug zusehen. Mir war es nicht danach zumute, seit Wochen von Schmerzen in allen Gelenken geplagt und halb gelähmt spürte ich Widerwillen schon beim Gedanken, den Mantel anziehen und in den
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