Agent der Leidenschaft
PROLOG
Der achtzehnjährige Joe Sanchez sah in den billigen Spiegel über seiner abgeschabten Kommode und blinzelte. Ihm war, als sähe er einen Fremden. Heute Abend trug er zum ersten Mal einen Smoking. Er hatte Wochen gebraucht, um das Geld zu verdienen, damit er sich den Smoking mieten konnte, den er beim Abschlussball der Santiago High School in Santiago, Texas, einer Kleinstadt an der Grenze zu Mexiko, tragen wollte.
Bei diesem Gedanken lächelte er. Es erstaunte ihn immer noch nicht, dass Elena Maldonado eingewilligt hatte, mit ihm zum Ball zu gehen.
Während der letzten Monate hatte sie ihm Nachhilfe in Englisch und Geschichte gegeben. Dank ihrer Hilfe war er ziemlich sicher, dass er den Abschluss schaffen würde. Dann wäre er der Erste aus seiner Familie mit einem High-School- Abschluss.
Noch letztes Jahr im letzten Herbst hätte er nie gedacht, dass dies einmal geschehen würde …
„He, Sanchez!” hatte Trainer Torres am Ende des Football-Trainings im letzten September ihm nachgerufen. „Komm nach dem Duschen zu mir ins Büro.”
Joe hatte genickt und war mit den anderen Mitgliedern der Mannschaft in die Umkleideräume gegangen. Er wusste, was der Trainer ihm sagen wollte. Seine Lehrer hatten ihm nämlich schon mitgeteilt, dass seine Noten nach der ersten Prüfungsrunde in den Keller gegangen waren.
Na und? Zumindest hatte er in den letzten beiden Jahren in der Schulmannschaft mitspielen können. Sein Trainer hatte ihn zu einem guten Fänger gemacht, weil er schnell war und mit dem Ball umgehen konnte. Er hatte sogar den Ruf, Magnete in den Händen zu haben. Meist schnappte er sich den Ball, wenn der Quarterback ihn in seine Nähe bringen konnte.
Seine Mannschaftskameraden schwatzten miteinander, aber Joe blendete das aus, als er sich auszog, duschte und danach in seine verwaschene Jeans und das Hemd schlüpfte. Dann ging er zum Büro des Trainers; er wusste, dass er kurz vor dem Rausschmiss aus der Mannschaft stand.
Der Trainer telefonierte, als Joe das Büro betrat. Torres winkte ihm, er solle sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch setzen. Joe tat wie geheißen und beobachtete den Trainer, der die Füße auf dem Tisch gelegt hatte.
Als er das Telefonat beendet hatte, nahm Torres die Füße vom Tisch. „Sag mal, Sanchez”, meinte er schroff, „hast du die Absicht, in Alfredos Fußstapfen zu treten?”
Joe sah den Trainer erstaunt an. Was hatte sein älterer Bruder mit seinen Schulproblemen zu tun? „Was heißt das?”
„Soviel ich weiß, wurde Alfredo vor ein paar Jahren wegen Drogenschmuggel verhaftet. Wie alt ist er jetzt?”
„ Zweiundzwanzig.”
„Aha. Und die letzten fünf Jahre war er meistens im Knast, stimmt’s?”
„Und?”
„Willst du das auch?”
Joe zuckte die Achseln.
Trainer Torres sagte nichts, sondern musterte ihn nur.
Joe schlug die Beine übereinander und fing an, an der Sohle seines Schuhs zu zupfen, da, wo sie lose war.
Endlich sprach der Trainer wieder. „Ich werde dir eine Alternative zu Alfredos Leben bieten, wenn du das willst.”
Joe blickte überrascht auf. Immer noch sah ihn der Trainer an.
„Du bist intelligent, Joe. Du lernst die Regeln ziemlich schnell. Du bist ein geborener Führer. Dir folgen alle in der Mannschaft. Du hast alles, was man braucht, um Erfolg zu haben, außer dem Dreh, das auch zu tun.”
„Heiß t das, ich bin faul?” fragte Joe mürrisch.
Der Trainer lächelte. „Nein. Du bist nur nicht motiviert. Und das möchte ich gern ändern.”
„Wie?”
„Indem ich dir ein Stipendium fürs College besorge.”
„Ein Stipendium fürs College? Für mich?” stieß Joe ungläubig hervor.
„Genau so ist es. Wenn du weiter so spielst wie jetzt, wirst du in einem Jahr in einer Collegemannschaft sein. Das heißt, wenn deine Noten besser werden.”
Joe rutschte nervös auf seinem Stuhl herum. „Genau.
Stimmt.”
„Und? Ist das unmöglich?”
Joe zuckte die Achseln.
„Wie viel Zeit verwendest du täglich für deine Hausaufgaben?”
Wieder zuckte Joe die Achseln.
Der Trainer schaute auf ein Blatt Papier auf dem Schreibtisch. „Offenbar nicht genug, wenn deine gegenwärtigen Noten etwas besagen.”
Joe sah keine Notwendigkeit, darauf zu antworten. Also fummelte er wieder an der losen Schuhsohle herum.
„Du glaubst nicht, dass du es schaffen kannst, oder?”
Joe schüttelte den Kopf, ohne aufzusehen.
„Dann habe ich mehr Vertrauen in dich als du selber. Ich habe jedenfalls jemanden gefunden, der dir Nachhilfe
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