Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
eine ganze Menge tolle Lieder veröffentlicht – wahrscheinlich hat jeder Mensch in Deutschland zwischen 20 und 45 Jahren ein Lied dieser Band, das ihn besonders berührt. Kein Liebeskummer ohne »Alles aus Liebe«, keine Party ohne »Zehn kleine Jägermeister«, und seit 2012 wohl auch nie mehr ein Oktoberfest ohne »Tage wie diese«. Bei mir sind es, seit ich dieses Projekt angefangen habe, die »1000 guten Gründe« – und das vor allem wegen dieser Textzeile:
»Hohe Berge, weite Täler, / klare Flüsse, blaue Seen, / dazu ein paar Naturschutzgebiete, / alles wunderschön. / Wir lieben unser Land! / Totale Pflichterfüllung, / Ordnung und Sauberkeit, / alles läuft hier nach Fahrplan, / der Zufall ist unser Feind. / Wir lieben unser Land! / Unser Fernsehprogramm, / unsere Autobahn. / Wir lieben unser Land! / Es gibt 1000 gute Gründe, / auf dieses Land stolz zu sein.«
Ein wenig später heißt es: »Keiner scheint hier zu merken, / dass man kaum noch atmen kann.«
Ich habe es sicherheitshalber gerade noch einmal getestet. Erst daheim, dann auf der Straße, in der U-Bahn, dann vor einem Polizisten: Atmen ist noch erlaubt.
Bei allem anderen kann man sich nicht mehr sicher sein. Was nicht ausdrücklich erlaubt ist, das ist verboten.
Ich war kürzlich mit meinem Sohn auf einem Spielplatz in der Nähe des Münchner Ostparks. Das ist ein Ort, an dem sich Kinder wohlfühlen sollen. Wo sie Spaß haben sollen. Ich habe mich kurz umgesehen. Auf diesem Spielplatz hängen acht Schilder. Darauf steht nicht: »Es macht besonders Laune, wenn man Wasser in die Röhren spritzt!« Darauf steht auch nicht: »Rutscht, so schnell ihr könnt!« Und auch nicht: »Habt einfach Spaß!« Auf diesen acht Schildern sind insgesamt 42 Verbote vermerkt – wie man nicht rutschen soll, wie man das Karussell nicht benutzen darf, wie man das Klettergerüst nicht besteigen darf.
Immerhin: Atmen ist noch erlaubt.
Und doch ist interessant, was auf so einem Spielplatz passiert. Da tollen Kinder umher und sind eigentlich nur damit beschäftigt, sich gegenseitig zu Höchstleistungen anzustacheln. Wer kann besser klettern? Wer kann schneller rutschen? Wer baut die beste Sandburg? Daneben sitzen Eltern, die versuchen, genau das zu verhindern, wobei sich die Eltern in drei Kategorien unterteilen lassen: die Mitmacher, die Apathischen und die Weltuntergänger.
Die Mitmacher nutzen die Zeit auf dem Spielplatz dazu, selbst wieder Kind zu sein, jedoch mit dem Verantwortungsbewusstsein eines Erwachsenen. Sie rutschen, sie klettern, sie bauen – aber sie erklären ihrem Kind andauernd, dass es beim Rutschen die Beine zusammen-, beim Klettern auseinander- und beim Bauen angewinkelt halten sollte. Lustig dabei: Die Mitmacher verstoßen damit gegen das Gesetz, weil die Nutzung von Spielplätzen nur bis zu einem Alter von 14 Jahren erlaubt ist. Steht auf einem der Schilder.
Die Apathischen findet man am Rand des Spielplatzes, sie sitzen ihre Zeit ab und warten darauf, dass das Kind endlich fertig ist mit Spaß haben. Sie haben entweder ein Buch in der Hand oder ein Handy, sie unterhalten sich mit anderen Eltern oder starren in den Himmel. Manchmal schlafen sie auch.
Die Weltuntergänger vermuten hinter jedem Spielzeug ein Werk des Teufels. Die Rutsche ist zu steil, die Schaufel voller Keime, und das Karussell wurde nur deshalb erfunden, um der Zentrifugalkraft dabei zu helfen, kleine Kinder ins Jenseits zu befördern. Ein Stein ist ebenso eine Mordwaffe wie ein Spielzeugbagger, und die anderen Kinder sind sowieso Diebe, Gangster und Totschläger. Die Kinder der Weltuntergänger heißen Linus, Malte oder Cajus. Die Eltern finden es prima, dass es so viele Verbote gibt – und sie erinnern ihre eigenen und auch die anderen Kinder stets daran: »Linus, bitte, nimm nicht die Schaufel von diesem Kind, die ist so schmutzig. Und rutsch nicht mit dem Kopf nach vorne, das ist gefährlich. Cajus, Sand im Mund ist giftig.«
Die Weltuntergänger sind die Zivilpolizisten des Spielplatzes.
Auch an anderen Orten kann man nicht so einfach machen, was man will. Ich habe es mal probiert. Zu meinem 33. Geburtstag wollte ich im Ostpark grillen.
Es gibt jedoch »Regeln für das Grillen im Ostpark« und sogar ein »Grilltelefon«, bei dem der Bürger erfährt, wo überall das Grillen verboten ist. Zusammengefasst steht in den Regeln: keine organisierten Feiern, kein Funkenflug, kein Lärm, keine eigenen Grills, keine freie Platzwahl. Am Ende steht da: »Verstöße gegen
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