Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
eine Ahnung, was an diesem Tag vorgefallen ist. Dafür weiß ich, dass ich mich scheiden lassen dürfte, wenn ich bei der Eheschließung nicht gewusst hätte, dass es sich um eine Eheschließung gehandelt hat: »Eine Ehe kann ferner aufgehoben werden, wenn die Ehe im Zustand der Bewusstlosigkeit geschlossen wurde.«
Ich habe 480 Seiten und 2385 Paragrafen gelesen – und stelle fest, dass ich damit nicht einmal ein Zehntel des kompletten Schönfelders geschafft habe.
Man kann sich das BGB mittlerweile auch anhören, vorgelesen von Christoph-Maria Herbst. Ich habe zehn Minuten durchgehalten: Es geht weniger darum, einem Menschen die Gesetze näherzubringen, sondern darum, Junkies ruhigzustellen, bei denen harte Drogen keine Wirkung mehr zeigen.
Zur Ablenkung sehe ich mir weiter hinten die Verkehrsschilder an, die es in Deutschland gibt, dann schlafe ich ein und träume von einem Vorfahrtszeichen und diesen Sätzen: »Mit einem Vermächtnis kann der Erbe oder ein Vermächtnisnehmer beschwert werden. Soweit nicht der Erblasser ein anderes bestimmt hat, ist der Erbe beschwert.«
Wir glauben, kaum mit dem Gesetz in Berührung zu kommen. Doch Gesetze und Verordnungen berühren uns nicht nur, sie springen uns jeden Tag an. Es gibt einen Zehn-Stufen-Plan, wie die meisten von uns mit dem Gesetz umgehen:
1. »Das Gesetz bin ich!« Wir sind allwissend, wir haben alles gesehen und alles erlebt. Wir müssen weder Gesetzestexte noch Bedienungsanleitungen noch Packungsbeilagen lesen. Was wir nicht wissen, das existiert nicht.
2. »Das weiß doch jeder!« Wir wollen zwar gerne Individualisten sein, am Ende jedoch sind wir Lemminge, die dorthin rennen, wo alle hinlaufen. Wenn alle seit 40 Jahren behaupten, dass etwas so ist, wie alle es behaupten, dann kann das doch nicht falsch sein. Denken wir. Wer am Stammtisch recht bekommt, der bekommt auch vor Gericht recht. Denken wir. Der Komiker Werner Koczwara wollte in einer Fernsehshow einen Witz machen und sagte: »Die Zehn Gebote haben 179 Wörter, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung hat 300 Wörter – und die EU -Verordnung über die Einfuhr von Karamellbonbons hat 23911 Wörter.« Der Satz wurde zitiert. Von Komikern, Journalisten, Stammtischphilosophen – bis ihn alle für wahr hielten. Selbst Juristen und Politiker.
3. »Das ist mein gutes Recht!« Irgendwann merken wir, dass das, was wir für wahr gehalten haben, vielleicht doch falsch sein könnte. In Koczwaras Fall: Die Zehn Gebote haben nicht 179 Wörter, sondern nur 63, dafür hat die amerikanische Unabhängigkeitserklärung 1322 Wörter. Und die Verordnung über die Einfuhr von Karamellbonbons? Die gibt es gar nicht. Nun beginnen wir, Gesetze zu lesen – aber nur die, die uns versichern, dass wir im Recht sind. Das wäre ja noch schöner, wenn da einer daherkäme und etwas für falsch erklärt, was wir für richtig halten.
4. »Wir sehen uns vor Gericht!« Es gibt einen schönen Witz über Briten, der geht so: »Was macht ein Brite, wenn er eine Schlange sieht? Er stellt sich hinten an.« Man könnte diesen Witz umschreiben in: »Was macht der Deutsche, wenn er ein Gericht sieht? Er prozessiert.« Es gibt etwa den Fall eines Gabelstaplerfahrers, der betrunken zur Arbeit erschienen war, obwohl in seinem Arbeitsvertrag deutlich stand, dass er nüchtern sein muss, wenn er arbeitet. Der Vorarbeiter schickte ihn nach Hause, der Betrieb sendete eine Kündigung. Fall erledigt? Nein, natürlich nicht. Der Gabelstaplerfahrer klagte, dass er mitnichten betrunken gearbeitet habe, schließlich sei er ja daran gehindert worden – und in seinem Vertrag steht, dass er nur entlassen werden kann, wenn er betrunken arbeitet. Welcher kranke Geist kommt auf die Idee, tatsächlich gegen diese Entlassung zu klagen? Ein kluger kranker Geist, denn der Staplerfahrer bekam vor dem Landgericht Frankfurt tatsächlich Recht und musste wieder eingestellt werden.
5. »Das kann doch gar nicht sein!« Wir verlieren vor Gericht – doch jetzt fängt der Spaß erst an. Denn natürlich haben wir immer noch recht, der Richter hat lediglich einen Fehler gemacht und sich geirrt. Denn: Bei Gericht bekommt man keine Gerechtigkeit, sondern ein Urteil.
6. »Ich wusste es!« Jetzt beginnt die rechtliche Generalmobilmachung. Nun werden Gesetze durchgeackert, Internetseiten durchforstet, Zeitungsartikel durchwühlt, Experten befragt, Gerichtsshows analysiert, Fachbücher gekauft. Und natürlich kommt nun eine wichtige Figur ins Spiel, die lange Zeit
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