Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
und Statistiken aufgetischt – etwa dass nur zehn Prozent aller Tempo-30-Unfälle tödlich enden, jedoch 90 Prozent aller Unfälle, die bei Tempo 50 passieren. Dass es nach dieser Rechnung am besten wäre, überhaupt nicht mehr mit dem Auto zu fahren, weil die Überlebenschance bei Tempo null bei 100 Prozent liegt, das sagen Menschen wie Hofreiter nicht.
Meine Mitbürger scheinen die Verbote nicht zu stören – ganz im Gegenteil. Gemeinsam mit dem renommierten Institut für Demoskopie Allensbach und dem Mainzer Institut für Publizistik hat sich das Heidelberger John Stuart Mill Institut für Freiheitsforschung aufgemacht, im »Freiheitsindex Deutschland« die Freiheitsliebe der Deutschen zu ergründen.
Die Studie wurde im Juli 2012 veröffentlicht, die Ergebnisse sind eindeutig: Die Deutschen wünschen sich noch mehr Verbote, als es sie ohnehin schon gibt.
Natürlich ist es sinnvoll, radikale Parteien und Kinderpornografie zu verbieten – da wird wohl kaum jemand widersprechen, bei dem noch alle Synapsen im Gehirn funktionieren.
Was aber nach Ansicht einiger auch noch verboten werden sollte: Gotteslästerung (25 Prozent), hochprozentiger Alkohol (20 Prozent), jede Form der Pornografie (36 Prozent). Mehr als ein Drittel möchte also das Internet abschaffen – denn meiner Meinung nach gäbe es nach dem Verbot von Pornografie nur noch eine Webseite mit dem Namen: www.gebtunsp o r nografiezurueck.de .
(Un-)Wichtiges Wissen
Das nach allgemeinem Dafürhal-
ten grandioseste internationale
Schild weltweit steht in Raynes
Park in Süd-London. Auf einem
zertretenen Stück Rasen von der
Größe eines Quadratmeters ist
ein Schild in den Boden gesteckt:
»Keep Off The Grass«.
Viele Menschen definieren Freiheit darüber, was ihnen alles verboten wird – denn nur wer sich an alle Regeln hält, darf im gesetzten Rahmen frei sein. Alle anderen werden bestraft. Das Ziel scheint nicht zu sein, möglichst glücklich zu leben oder möglichst viele Dinge auszuprobieren, sondern möglichst ohne Strafe davonzukommen. Aus dem amerikanischen Recht, dass jeder Mensch nach persönlichem Glück streben dürfe, wird hierzulande ein Streben nach Fehlerlosigkeit. Wer sich nicht richtig verhält, ist schuldig – und gehört bestraft.
Mit jedem Verbot allerdings gibt der Bürger ein Stück seiner Mündigkeit ab – und es hat den Anschein, dass die Bequemlichkeit wichtiger ist als die Möglichkeit der Selbstbestimmung. Das Leben war einmal eine bunte Wiese, auf der die Menschen sich frei bewegen durften. Dann wurden links und rechts Zäune errichtet, und es wurde verkündet, dass jeder bestraft wird, der es wagt, über den Zaun zu springen. Aus Zäunen wurden meterhohe Mauern, über die niemand mehr springen kann. Zusätzlich wurden Elektroden angebracht, die jedem einen elektrischen Schlag verpassen, der es wagt, die Mauern zu berühren. Dann wurde vorne und hinten zugemauert – und es scheint, als würde gerade jemand auch noch einen Deckel anbringen wollen.
Aus Strukturen wurden Fesseln, aus Richtlinien ein Dschungel, aus Gesetzen ein Gefängnis. Was nicht ausdrücklich erlaubt ist, das ist verboten.
Es gibt aber auf der anderen Seite kaum jemand, der versucht, diese Mauern einzureißen. Wir sitzen in diesem Gefängnis und beschweren uns darüber, aber wir unternehmen kaum etwas dagegen. Wir verlieren immer mehr die Möglichkeit, selbst über unser Leben zu bestimmen – aus Angst vor Bestrafung oder einfach nur aus Bequemlichkeit.
In anderen Ländern ist das nicht so, dort gilt: Was nicht ausdrücklich verboten ist, das ist erlaubt. In Schottland etwa gibt es seit ein paar Jahren den sogenannten Scottish Outdoor Access Code . Vereinfacht ausgedrückt bedeutet der Code, dass Parks, Strände, Seen und Wälder frei zugänglich sind. Campen ist ebenso erlaubt wie Wandern, Fahrradfahren und Fußballspielen. Einzige Regel: Nimm deinen Müll wieder mit – und wenn du Müll von anderen siehst, dann motz nicht drüber, sondern pack ihn eben in deine Mülltüte. Der Code funktioniert wunderbar. Die Götter haben den Schotten also nicht nur wunderbare Landschaften, herausragenden Whisky und herzerweichende Lieder geschenkt, sondern ganz offensichtlich auch sehr vernünftige Gesetzgeber.
Dass es auch hierzulande anders geht, zeigte der Verkehrsplaner Hans Mondermann, der vom Spiegel als »Die Axt im Schilderwald« bezeichnet wurde. Er probierte vor 20 Jahren etwas, was vorher noch keiner gewagt hatte. Er schaffte in einem Dorf in
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