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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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nickt.
    »Ach, und noch etwas, eine Talkshow hat für dich angerufen. Sie wollen
dich in ihrer Sendung. Ich will mich nicht einmischen, aber wenn ich du wäre, würde
ich das machen. Ist doch eine Möglichkeit, die Angelegenheit mal von deiner Warte
aus zu erklären.«
    Er nickt. Er will in sein Zimmer, aber immer noch versperrt sie ihm den
Weg.
    Sie sieht ihn an, mit einem Blick, als sei er eine kostbare chinesische
Vase. Voller Sprünge.
    »Sag mal ehrlich, hast du das wirklich alles gemacht, mit diesem Pferdemädchen?«
    41
    Roland wollte auf keinen Fall allein gehen und hatte Sylvie
erklärt, er müsse unbedingt hin. Dass er sich andernfalls bis an sein Lebensende
als Feigling fühlen würde. Sylvie hatte nur am Mittwochnachmittag Zeit, und Jonathan
musste auch mitkommen.
    [664]  Roland hatte sie gebeten, im Reinier-de-Graaf-Krankenhaus anzurufen,
um die Besuchszeiten zu erfragen und dabei diskret vorzufühlen, ob er willkommen
sei. Auch dazu war sie bereit. Sie ist zu vielem bereit, findet
sie. Auch unter diesen Umständen lässt sie den Vater ihres Kinds nicht im Stich,
gibt sie ihm noch eine Chance.
    Sie sitzen im Zug nach Delft.
    Sylvie betrachtet ihren Ex. Er ist über Nacht alt geworden. Sie kann
nicht sagen, woran man das sieht, aber irgendwas ist verschwunden, aus seinem Gesicht
oder seiner Haltung. Die Energie.
    Jonathan sitzt auf Rolands Schoß.
    »Was ist da in der Tüte?«, fragt sie.
    »Ein Geschenk.«
    »Für wen?«
    »Für Gwendolyne.«
    »Was für ein Geschenk?«
    »Ein Teddybär.«
    Sie schüttelt den Kopf. »Bist du sicher?«, fragt sie. »Bist du sicher,
dass du ihr einen Teddybären schenken möchtest?«
    Kurz vor der Einfahrt in Delft sagt er: »Wenn
die Leute erst mein Buch über die Spekulationsblase gelesen haben, werden sie meine
wissenschaftlichen Methoden nicht mehr anzweifeln.«
    »Vielleicht gibt es dann keine Menschen mehr«, sagt sie.
    »Diejenigen, die es dann gibt, werden mir
recht geben.«
    Sie nehmen ein Taxi zum Krankenhaus. Jonathan und Sylvie begleiten Roland
zum Eingang. Alles wirkt völlig normal. Ein Frühlingsspaziergang mit der Familie.
Roland [665]  ist schweigsam, doch das war er eigentlich immer. Innerlich war er stets
mit irgendwas anderem beschäftigt.
    »Ich gehe nicht weiter«, sagt Sylvie. »Ich warte mit Jonathan hier.«
    Sie sieht, wie er das Gebäude betritt. Mit seinem Bären.
    42
    Nur mit Mühe findet Roland Gwendolynes
Zimmer. Er muss zweimal fragen, und zweimal meint er an den Reaktionen der Schwestern
zu spüren, dass sie ihn erkennen.
    Sie liegt allein. Sie schläft.
    An der Wand hängen Genesungswünsche. Auf einem Tisch stehen Blumen.
    Sie hängt an einem Tropf.
    Es gibt noch ein zweites Bett, das aber offenbar
nicht benutzt wird.
    Er nimmt einen Stuhl und setzt sich.
    Nach fünf Minuten öffnet sie die Augen.
    »Meneer Oberstein«, sagt sie.
    Ihre Stimme klingt anders. Doch sie ist klar zu verstehen.
    »Ich dachte, ich komm mal vorbei, um zu sehen,
wie es dir geht.«
    Sie antwortet nicht.
    »Ich hatte gehört, ich dürfe kommen. Ich
hatte gefragt.«
    Er wartet, dass sie etwas sagt.
    [666]  Dann holt er das Päckchen mit dem Teddybären aus der Tüte und legt
ihn aufs Bett.
    »Ich hab dir was mitgebracht«, sagt er.
    »Wie aufmerksam«, antwortet sie.
    Wieder Schweigen. Nichts geschieht. Nur das Rauschen der Klimaanlage.
    Eine Schwester öffnet die Tür. »Alles in Ordnung?«,
ruft sie ins Zimmer.
    Sie wartet nicht auf Antwort, sondern geht sofort weiter.
    »Sie müssen es auspacken«, sagt Gwendolyne. »Ich kann das nicht mehr.«
    Er nimmt das Päckchen vom Bett und versucht, es zu öffnen, ohne das Papier zu zerreißen.
    »Was kannst du noch?«, fragt er.
    »Nichts«, sagt sie. »Reden und schlucken. Meinen Kopf ein klein bisschen
bewegen. In einem meiner Zehen habe ich Gefühl. Aber sonst nichts.«
    »Und – wird es langsam besser?«, fragt er so leichthin wie möglich, als
frage er einen Studenten: »Wie ist die Wiederholungsprüfung gelaufen?«
    »Jeden Tag, an dem sich nichts ändert, wird die Chance auf Besserung
geringer.«
    Endlich ist der Bär aus seiner Verpackung befreit. Roland wusste nicht,
was er kaufen sollte. Zuerst hatte er an ein Buch gedacht, wusste aber nicht, was
für eins. Dann sah er diesen Bären. Er erinnerte ihn an Meneer Bär. Sie könnten
Zwillinge sein.
    Er legt den Bären aufs Bett.
    Sie schweigt.
    [667]  Nach einer längeren Pause meint Roland: »Ich dachte, vielleicht ist
das ein hübsches Geschenk.«
    »Könnten

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