Mit Herrn Lämmlein ist was los
gesehen. Aber das war
unser Geheimnis. Und ich bin überhaupt schuld an der ganzen Sache, weil ich es
ausgequatscht habe.“
„Nein, ich bin schuld“, rief Specht. „Weil
der Boß, ich meine, weil Herr Lämmlein nämlich meiner Mutter helfen sollte.“
Und dann erzählte er die ganze
Geschichte von dem Hauswirt, der sie auf die Straße setzen wollte.
„Und meine Mutter kann bezeugen, daß alles
stimmt“, sagte er zum Schluß.
Der Richter wandte sich an Bankdirektor
Wolf:
„Ist das Geld vollzählig vorhanden?“
„Ja, Herr Vorsitzender. Ich habe genau
nachzählen lassen. Es fehlt nichts.“
Der Richter schüttelte den Kopf und
sagte zu Lämmlein:
„Wenn Sie lediglich 100 Mark für einen
Tag gebraucht haben, warum um alles in der Welt haben Sie dann diesen — nun
sagen wir — umständlichen Weg gewählt?“
„Weil ich niemand kannte, der uns die
100 Mark hätte leihen können, und weil wir sie doch so dringend brauchten.“
Da wurde der Richter nachdenklich.
„Sie kannten also niemand, der das Geld
für die Miete vorgestreckt hätte?“
„Nein.“
„Und Sie haben die 100 Mark von ihrem
eigenen Gehalt genommen?“
„Ja.“
Der Richter putzte seinen Kneifer und
war noch immer sehr nachdenklich. Dann fragte er:
„Aber wieso können Sie denn jetzt mit
einem Mal nicht mehr durch die Wand gehen?“
„Weil wir ihm was gebraut haben“, rief
Specht dazwischen.
„ So’n Hexenzeug.“
„Das hätten Sie nicht getrunken, Herr
Richter“, sagte Edi , aber Arthur kniff ihn in den Arm
und sagte, er sollte die Schnauze halten, das sei unpassend.
„Ja, Herr Vorsitzender“, sagte
Lämmlein, „es stimmt. Ich wollte es los sein. Sie sehen doch selbst, wohin sowas führen kann. Mir ist es lieber, eine Wand ist fest
und hart und kein Pudding.“
Da lehnte sich der Richter in seinem
Stuhl zurück und sagte:
„Meine Ermittlungen sind abgeschlossen.
Ich gebe das Wort an den Herrn Staatsanwalt.“
Der Staatsanwalt erhob sich:
„Das Verfahren hat ergeben, daß es sich
im vorliegenden Fall zwar nicht um einen Diebstahl handelt, da der Geldsack
nach glaubwürdigen Zeugenaussagen nur entliehen wurde — allerdings ohne den
Besitzer zu fragen. Jedoch hat der Angeklagte durch sein ungewöhnliches
Vorgehen Unruhe und Aufregung in der ganzen Stadt verursacht.
Ich beantrage daher Verurteilung zu 500
Mark Geldstrafe oder 10 Tagen Haft wegen groben Unfugs.“
Herr Lämmlein sackte in seinem Stuhl
zusammen, und die Buben starrten sich entsetzt an. Nur die Hausmeisterin Wuttke
schaute kampfesmutig drein und krempelte ihre Ärmel noch ein Stück höher
hinauf.
Alle schauten erwartungsvoll den
Richter an.
Der hielt eine Beratung mit den
Schöffen und sagte dann:
„Es ist in unserer Zeit selten
geworden, daß ein Mensch so viel wagt, um einem anderen zu helfen. Diese
selbstlose Hilfe darf nicht bestraft werden, auch wenn dadurch einige Aufregung
in der Stadt verursacht wurde. Das Gericht kann sich dem Antrag der
Staatsanwaltschaft daher nicht anschließen. Herr Lämmlein, Sie sind
freigesprochen.“
„Hurra!“ schrien die Buben. Und ehe
Lämmlein sich besinnen konnte, hatten sie ihn auf ihre Schultern gehoben und
trugen ihn wie einen Olympiasieger aus dem Gerichtssaal.
Letztes Kapitel
Zu Hause war ein Kaffeetisch gedeckt
mit einer riesigen Torte, und auf Lämmleins Platz stand eine große Kiste
Zigarren. Sonderklasse.
„Aber Jungs“, sagte Lämmlein und schneuzte sich die Nase, denn er war sehr gerührt. „Seid
Ihr denn jetzt nicht enttäuscht von mir? Ich kann’s doch nicht mehr.“
„Ach Boß“, sagte Specht, „das fanden
wir ja auch prima so am Anfang, als wir Sie noch nicht kannten. Aber jetzt....
jetzt...“
Eigentlich wollte er sagen, daß sie ihn
jetzt noch mehr verehrten, aber so große Worte konnte man doch nicht
aussprechen. —
„Na dann wollen wir mal Kaffee trinken“,
sagte Lämmlein. „Komm, Theo, schenk ein.“
Er hatte verstanden, was Specht sagen
wollte, und er war darüber sehr glücklich.
ENDE
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