Mit Nackten Haenden
Zeit führte, uns hier zusammengebracht hatte, vor diesen Stall, an diesem Herbstabend. Vielleicht war ich ihnen schon immer verdächtig erschienen, als alleinstehende Frau, ganz ohne Mann, die nicht einmal den Hauch eines Verlobten vorzuweisen hatte. Ich hätte einen Mann an meiner Seite haben müssen, Kinder - oder wenigstens darüber klagen, dass ich keine hatte. Ich hatte nicht mitgespielt, hatte mich nicht an die Regeln gehalten. Ich
hatte nicht einmal so getan, als ob, und vielleicht war das mein schlimmstes Vergehen, das, was man mir nicht vergeben konnte.
Ich hatte Angst, als ich zu meinem Auto ging, aber nachdem die eine Bäuerin gespuckt hatte, war nichts mehr vorgefallen. Durch ihre Reglosigkeit, ihren stummen Hass und ihre Feindseligkeit gaben sie mir alle zu verstehen, dass ich bloß verschwinden sollte.
Ich glaubte, die Entehrung, die Schmähung wären genug.
Im Haus war alles verwüstet, die Möbel zertrümmert, das Sofa und die Matratzen aufgeschlitzt, meine Bücher aufgeschlagen und zerfetzt, die Steckdosen herausgerissen, die Glühbirnen zerschlagen. Ich ging durch alle Zimmer, bis meine Beine plötzlich nachgaben und ich mich auf die Treppe hockte, den Rücken an die Wand gelehnt, den Kopf in den Händen vergraben, in einem Zustand von Fassungslosigkeit, in den sich Zorn und Mitleid mischten.
An die Küchentür genagelt, sah mich Gios Kater mit toten Augen an.
Am folgenden Morgen verriegelte ich La Louvière, warf einen Koffer ins Auto und fuhr weg, ohne mich ein einziges Mal umzusehen.
N och am selben Abend traf ich in Pontarlier ein. Der Chef erwartete mich. Das Haar immer noch dicht, aber weißer. Der Schnurrbart so eroberungslustig wie eh und je. Ich glaube, er fand mich für diesen Beruf genauso wenig geschaffen wie früher, als er mich das erste Mal aus dem Zug steigen sah. Wie damals stellte ich meine Tasche ab, um ihm die Hand zu geben, aber er kam auf mich zu und drückte mich an sich, es war eine lange Umarmung, die mir Gelegenheit gab, seine breiten und trockenen Hände auf meinem Rücken zu spüren, seinen mageren, aber brettharten Oberkörper, seinen welken Hals mit dem Duft nach Gras, Harz, nassem Holz. Er roch gut. Kein Rasierwasser, sondern der natürliche Geruch eines Mannes, der im Freien arbeitet. Im Übrigen wirkte er viel gesünder als bei unserem Abschied. Selbst seine Kleidung schien nicht mehr direkt aus dem Pferdestall zu stammen. Er trug ein gut gebügeltes kariertes Leinenhemd und feste Wanderschuhe. Erstaunlich, wie einen das Alter packen kann, um dann manchmal wieder loszulassen. Sogar sein Gesicht sah glatter aus als früher.
Er lud sich meine Tasche auf die Schulter, und statt die üblichen Höflichkeitsfloskeln mit ihm auszutauschen, fragte ich ihn, ob er mit dem Schriftsteller verwandt sei. Er zog die Augenbrauen hoch, gab mir aber keine Antwort.
Wir ließen mein Auto dort stehen und stiegen in seines, einen Geländewagen neueren Datums, um in das Dorf hinaufzufahren, wo er lebt, an der Grenze zur Schweiz. Die raue Welt, die uns umgab, war schöner, als ich sie in Erinnerung hatte, hohe, gerade Kiefern mit flechtenzerfressenen Stämmen, herrliche Berge mit moosbewachsenen Kuppen und nackten Felsen, wo uns gelegentlich eine Hirschkuh vorbeifahren sah.
D’Aurevilly steuerte den Wagen und das Gespräch, so charmant wie noch nie, erzählte mir, dass er hier und da noch aushalf, dass sein neues Gefährt - ob mir aufgefallen sei, wie der Motor sich drehte, selbst bei steilster Steigung? - es bis in die entlegensten Gehöfte schaffte, sogar im Winter. In der Gegend gebe es mehr als genug Arbeit, verkündete er und sah mich mit bebendem Schnurrbart lauernd an. Ich sagte nichts. Die Wärme im Wageninneren, verstärkt durch seinen Redefluss, seine Zuneigung trugen allmählich zu meiner Entspannung bei. Ich wusste, einen Mann wie meinen d’Aurevilly würde es bald nicht mehr geben, galant unter der harten Schale, feinsinnig, perfekt in seiner Rolle. Ich entdeckte ihn neu und war verblüfft, ihn so verjüngt zu sehen. Als hätte man ihn mit Sand abgeschmirgelt; die frische Haut passte ihm wie angegossen. Im Tal war der erste Schnee wieder geschmolzen, aber je höher wir hinauffuhren,
desto dichter lag er, zunächst in länglichen, an den Straßenrand geräumten Wehen, danach in feinen Schichten, die auf die Fahrbahn übergriffen. Am Ende rollten wir über eine knusprige Zuckerkruste. Es war eine Nacht ohne Mond; die schnurgerade abgeteilte Welt zerfiel vor
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