Mit Nackten Haenden
Traurigkeit vorzutäuschen. Keiner konnte die alte Ada Malespini leiden, egal, ob lebend oder tot.
Selbst als die signora padrona in ihrem Zimmer aufgebahrt lag, musste man Pantoffeln tragen, um ja keinen Lärm zu machen. Die Zwillinge Azzurra und Allegra hatten sich mit ihrem Bruder Gio in die geschlossenen Räume der Villa zurückgezogen und wühlten hemmungslos in alten Truhen und modernden Schreibtischen. Einer der riesigen Zedernschränke auf dem Dachboden war voller Pelze, darunter ein weißer Nerz, ein Leopard, ein Zobel, ein Seehundfell und ein Timberwolf. Gio dozierte ausgiebig über die Gräuel, die Robbenbabys widerfuhren, wenn man sie bei lebendigem Leib zerlegte, sodass die Zwillinge am Ende in Tränen
aufgelöst waren und den Vorschlag machten, die Überreste der blutigen Garderobe in Würde zu bestatten.
Die Zeremonie fand in einer mondlosen Nacht statt, im Licht einer Fackel und einiger Windlichter, die sie von der terrazza gemopst hatten. Allen Drohungen und Strafen zum Trotz haben weder Gio noch die Zwillinge jemals die Stelle preisgegeben, wo die »armen Tiere« endlich ewige Ruhe fanden.
N achdem ich etwa zehn Stunden auf einem Heuballen gesessen hatte, tat mir der Rücken weh, mir war schwindlig, ich hatte Hunger, Durst, ich wollte einen Tee, einen Kaffee, ein Glas Wasser, einen grünen Apfel, einen Teller Suppe, einen Whisky. Der Bauer hatte mich in seinem Stall eingesperrt. Ich konnte nicht raus, das Vorhängeschloss befand sich auf der Außenseite, und die Tür war robust. Ich ging davon aus, dass dieser Mann, den ich gut kannte, den ich seit zehn Jahren regelmäßig besuchte, es nicht mit Absicht getan hatte. So hoffte ich es jedenfalls. Mein Handy hatte ich im Auto gelassen. Das war mal wieder typisch, das Notizbuch hatte ich eingesteckt, aber kein Telefon in Reichweite. Ich wartete darauf, dass etwas passierte.
In letzter Zeit waren die Dinge eskaliert. Als ich einkaufen ging, forderte die Bäckerin mich auf, ihren Laden zu verlassen; der Metzer hingegen erklärte mir sichtlich verlegen, seine Frau habe ihm verboten, mich zu bedienen. Dann versteckte er sich in der Kühlkammer, so rot wie das Stück Rindfleisch, das er gerade abgeschnitten hatte.
Nach seiner Rückkehr hielt sich Gio allen gegenüber an das, was er bereits zu seiner Mutter gesagt hatte: »Das ist allein meine Angelegenheit, und an Ihrer Stelle würde ich mich schämen, solche Fragen zu stellen.« Das sagte er auch zu dem Kinderpsychiater, den Micol hinzuziehen wollte, sodass dieser seine Betroffenheitsmaske absetzte und sich schleunigst vom Acker machte.
Micol gab sich deswegen noch lange nicht geschlagen. Gio antwortete nicht, wenn sie ihn fragte, was sich zwischen uns abgespielt hatte, er schüttelte bloß den Kopf und schwieg - um mich zu schützen, wie sie meinte. Das leugnete er stets, aber so, dass Micol ihm nicht glaubte. Im Lauf einer denkwürdigen Szene rastete Gio schließlich aus und brüllte, er habe den ganzen Sommer über mit mir geschlafen, es sei außerdem mit das Schönste gewesen, was er je erlebt habe, und das wenigstens könne ihm keiner nehmen. Micol tobte vor Wut, sie fing an zu schreien, sie habe es von Anfang an gewusst; Raphaël schaltete sich ein, während Gio versuchte, zurückzurudern, aber da hörte niemand mehr zu. Micol stand bereits in der Tür, war auf dem Sprung, mit den beiden weinenden Zwillingen. In dieser Situation diktierte sie ihre Bedingungen: Es müsste so bald wie möglich Anzeige erstattet werden, sonst sei für sie an Rückkehr gar nicht zu denken. Sollten Raphaël und Gio doch allein klarkommen, das sei ihr letztes Wort.
Das weiß ich alles, weil Raphaël mich anrief. Er schien die Sache leid zu sein, druckste herum: »An Gios Stelle … na ja … was soll man … Stimmt es eigentlich … ach was, tu so, als hättest du die Frage gar nicht gehört.«
Er könne Micols Wünschen nicht zuwiderhandeln, erklärte er mir, alles andere hieße Scheidung, das Ende ihrer Ehe und ihres Familienlebens, er würde Azzurra und Allegra verlieren, in einem Wort hieße das Krieg. Er gab mir zu verstehen, dass er gar nicht imstande war zu verhandeln, dass Micol ihm noch ganz andere Dinge vorwerfen konnte als dieses Ausweichmanöver.
Ich dachte, er würde gleich anfangen zu weinen, aber er legte auf.
Ich hasse Männer, die weinen. Nicht dass ich deswegen die Achtung vor ihnen verliere, aber sie weinen in der Regel aus den falschen Gründen. Meistens weinen sie um sich.
Manche
Weitere Kostenlose Bücher