Mitte der Welt
gut geht es, gottlob geht es gut!
Nur manchmal, wenn ich spät noch anrufe, klingt Ingrid seltsam zerstreut, und ihre Stimme schleift, so dass ich mir Sorgen mache: Was ist los mit dir? Ist etwas passiert?
Nichts ist! Was sollte sein! Und sofort dann höre ich, dass Ali morgen aus Erdek zurückkomme, oder übermorgen oder nächste Woche.
Nein, weiter und mehr werde ich nicht fragen!
Nur vergessen darf ich nicht, ihr nächstes Mal aus Deutschland neben den deutschen Neuerscheinungen, auf die sie immer sehr begierig ist, auch den geliebten französischen Cognac mitzubringen – mag sein, er hilft ihr, die Hoffnung auf bessere Zeiten nicht aufzugeben.
EIN GUTES OMEN
Uğur Mumcu – seit bald zwei Jahren hängt sein Foto in den Geschäften, in vielen, wenn auch nicht in allen; aber in den meisten, die ich frequentiere.
In anderen hängen andere Bilder, mehr oder weniger groß und bunt, von der Kaaba zum Beispiel oder Koran-Sprüche oder die Fußballteams von Fenerbahçe oder Galatasary, und in sehr vielen, wie andernorts die Bilder von Monarchen, nach wie vor das von Mustafa Kemal genannt Atatürk. Niemand hierzulande ist gezwungen, ein bestimmtes Bild aufzuhängen in seinem Laden, Restaurant oder Büro. Die unausweichliche Allgegenwärtigkeit von Potentaten wie in anderen Ländern gibt es hier nicht. Die hier von den Wänden herabschauen, sind selbsterwählte Leitbilder, die anzeigen, in welches Licht sich die stellen, die sie aufhängen.
Als Uğur, der parteipolitisch ungebundene Journalist, zerfetzt von einer Auto-Bombe, zu Tode gekommen war, reisten viele tausend Menschen aus dem ganzen Land nach Ankara, um ihm das letzte Geleit zu geben. Und dass heute noch immer sein Foto zu sehen ist, zeigt: Uğur Mumcu lebt weiter – als Gesinnung, als Hoffnung, als Bekenntnis, als Ansporn.
Wofür er stand, hat ihn sein Leben gekostet. Wer es ihm nahm, von wessen Hand die Bombe gebaut worden war, ist bis heute nicht klar, nicht aufgeklärt. Aber: Uğur hat zeit seines Journalisten-Lebens schreibend für eine freiheitliche, menschenwürdige, demokratische Türkei gekämpft, bis zum furchtbaren Ende. Er war ein Held, er starb einen Heldentod, er wurde zu Grabe getragen, wie es einem Helden gebührt. Darum folgten ihm Tausende, weil auch sie, wofür er stand und starb, stehen und leben in diesem Land.
Zur großen Trauer in der ganzen Türkei, die natürlich auch mich ergriff als eine, die in diesem Land mitlebt, kommt meine kleine »ausländische« Trauer hinzu, oder eigentlich Scham: dass meines Wissens bis heute in keiner deutschen Zeitung je über die stark und stärker werdende Demokratie-Bewegung in der Türkei berichtet wird, nicht einmal anlässlich des Todes von Uğur Mumcu.
Sehr viel später erst fand ich seinen Namen doch erwähnt in einer deutschen Zeitung:
… auch der gewaltsame Tod des Journalisten U. Mumcu wird vermutlich, wie viele andere politische Morde in der Türkei, nie aufgeklärt werden, weil die Täter und ihre Hintermänner im Halbschatten zwischen Unterwelt und Sicherheitskräften gedeckt bleiben …
Empörend, falls es so ist!
Aber auch, dass fast nur so berichtet wird.
Trotzdem: Uğur lebt weiter in den Herzen und Köpfen der Menschen, wie zu sehen ist in den Büros und Geschäften und Zeitungsläden – und das ist, was in seinem Namen steckt: ein gutes Omen.
EIN GUTER SCHRIFTSTELLER
Demir öffnet die Speisekarte, lächelt und seufzt; und sagt: Ich habe mir vorgenommen, endlich ein guter und fleißiger Schriftsteller zu sein!
Sein Lächeln – ich verstehe es nicht. Denn dass er ein guter Schriftsteller ist, wissen hier alle, die nicht nur in Boulevardblättern blättern nach leichtfasslichen Schlagzeilen zu Bildern von wenig bekleideten Frauen.
Obwohl: Auch Demir ist den Frauen sehr zugetan. Und sie ihm. Eine große Rolle dabei spiele der Ruhm, sagte er, allerdings weniger der Ruhm um der Schriftstellerei willen als jener, ein kunstvoller Liebhaber zu sein. Dieser Ruf eile ihm inzwischen voraus, und fast ohne dass er seine Kunst des Verzauberns entfalte, öffneten sich ihm die Frauen und gäben sich hin – zu seiner großen Freude natürlich, aber auch zu ihrer; er sei zwar ein Egoist, aber kein Barbar.
Seine Hände sind rundlich, keineswegs plump, und prächtig beringt; und wie er mit dem Zeigefinger über die Speisekarte fährt: als ob er die Gerichte vorkoste – ja, auch ich, bevor ich Demir persönlich kannte, hatte von seinen Frauengeschichten gehört.
Das Perlhuhn könne er
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