Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa (German Edition)
Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit, Armut und Umweltverschlechterung. Die Leugnung des Gemeinschaftlichen (»there is no such thing as society«), die Diskreditierung des Staates als Feind der Bürger (er ist auch »unser Verein«), die Vernachlässigung der Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Umwelt und in den sozialen Zusammenhalt, all dies hat den Unternehmen und Arbeitnehmern schweren Schaden zugefügt. Noch größer war der Schaden für die Produzierenden durch die Entfesselung der Finanzmärkte und damit durch die Verlagerung des Gewinnstrebens von real- zu finanzwirtschaftlichen Aktivitäten.
These 2: Diese Entwicklung war unvermeidlich. Denn der Neoliberalismus ist die Ideologie im Interesse des Finanzkapitals, nicht des Realkapitals. Die Losungen gegen Sozialstaat und Gewerkschaften haben die Unternehmer (-vertreter) schon vor langer Zeit dazu verführt, den Neoliberalismus als ihre Ideologie zu adoptieren. Dies hat ihnen sehr geschadet, besonders den Klein- und Mittelbetrieben. Gleichzeitig haben die anwachsenden Probleme und ihre Behandlung durch sparpolitische Schwächung des Sozialstaats und Atypisierung der Beschäftigung das Verhältnis zwischen den Sozialpartnern verschlechtert. Die Interessen des Finanzkapitals können sie nicht als ihren gemeinsamen Gegner erkennen, weil (fast) jeder selbst Finanzkapital besitzt.
These 3: Eine Essenz des Finanzkapitalismus besteht darin, dass Finanzaktiva geschaffen werden, die keine realwirtschaftliche Deckung haben. Zunächst geschah dies durch Aktienbooms, dann durch Kreditvergabe an nahezu mittellose Häuslbauer. Als der fiktive Charakter der Finanzforderungen durch den Verfall von Aktienkursen und Immobilienpreisen offenbar wurde, begann sich der Staat als Ersatzbank zu betätigen, nahm Geld auf und gab es den richtigen Banken – das Problem unzureichender Deckung wurde nur verschoben. Wenn nun EZB und EU durch Schaffung eines Rettungsfonds Griechenland und danach Portugal und Spanien und Italien beistehen, wird das Problem weitergeschoben. Eine nachhaltige Lösung kann nur darin bestehen, dass die Staaten in die Lage versetzt werden, ihre Schulden zu bedienen. Dies setzt ein stabiles und merkliches Wirtschaftswachstum voraus, also eine Verlagerung des Gewinnstrebens von der Finanz- zur Realwirtschaft, einen »New Deal« als nachhaltigen Anschub und eine Abkehr vom Weltbild der letzten Jahrzehnte.
These 4: Die schwierigste Phase der großen Krise liegt nicht hinter uns, sondern vor uns. Ein neuerlicher Rückgang der Aktienkurse bei gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit, leeren Staatskassen und zunehmendem Zweifel an der realen Deckung der Staatschulden wird ohne kluge Gegensteuerung dazu führen, dass alle Sektoren versuchen, ihre Lage durch Sparen abzusichern: Unternehmer, Haushalte, Ausland und Staat. Das ist der Stoff, aus dem ökonomische Depressionen gemacht sind. In einer solchen Situation muss der Staat der Realwirtschaft nachhaltige Impulse geben, gleichzeitig aber auch seine Finanzlage stabilisieren. Dafür gibt es nur einen Weg: Er muss den Einkommensstärksten, insbesondere den Besitzern großer Finanzvermögen, spürbare Konsolidierungsbeiträge abverlangen, und zwar nicht aus sozialen, sondern aus technisch-makroökonomischen Gründen: Die Finanzrentiers reagieren darauf nicht mit einer Einschränkung ihres Konsums, sondern ihres Sparens.
These 5: Mit einem Teil dieser Mittel sollen jene Probleme energisch angegangen werden, die in den vergangenen 20 Jahren vernachlässigt wurden. Dazu gehören insbesondere die Verbesserung der Umweltbedingungen, von einer »generalstabsmäßigen« thermischen Gebäudesanierung über die Erneuerung der Energieversorgung bis zur Ökologisierung von Industrieprodukten wie der Förderung von Elektroautos (all dies würde den Unternehmen zusätzliche Aufträge bringen). Ein weiterer Schwerpunkt besteht in massiven Investitionen ins Bildungswesen (einschließlich Vorschulbereich), insbesondere zur Verbesserung der Qualifikation von Kindern mit Migrationshintergrund und der Bedingungen an den Universitäten. Den dritten Schwerpunkt bilden alle Maßnahmen zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts, von einer Verbesserung der Entfaltungschancen junger Menschen (insbesondere im Bereich Wohnen und Arbeit) über eine aktive Armutsbekämpfung bis zu einer Organisation der Altenbetreuung, die den Standards eines modernen Sozialstaats entspricht.
These 6: Es liegt im eigenen Interesse der Besitzer der (großen)
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