Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa (German Edition)
Sinndimensionen, die im gesellschaftlichen und individuellen Handeln erst Wahrheit, Freiheit, Glück ermöglichen, zurück.
Der allgegenwärtige neoliberale Globalisierungsprozess verstärkt den Werkzeugcharakter der individuellen menschlichen Existenz. Männer und Frauen müssen es sich – gleich in welcher hierarchischen und strukturellen Position sie sich gerade befinden – gefallen lassen, sich ständig nach ihrem aktuellen Funktionswert bewerten zu lassen. In demselben Maß, in dem die Gesellschaften ökonomisiert, auf die Steigerung wirtschaftlicher Effizienz im Dienst privater Profite umgestellt wurden und werden, wird der Raum für das Humane – für Erkenntnissuche, Solidarität, Auseinandersetzung mit den existentiellen Fragen – zurückgedrängt.
Die Bankenkrise, die Finanzkrise, die Staatskrise in Griechenland sind allesamt Ausdruck einer globalen politischen und einer Gerechtigkeitskrise, einer Polarisierung von Arm und Reich. Die Krisen zeigen idealtypisch den Umverteilungsmechanismus, der durch das gegenwärtige Finanzsystem in Gang gebracht wird. Der maßlose Renditeanspruch der Shareholder fordert in immer kürzeren Zeiträumen immer größere Profite, die nicht durch die Produktion von Gütern und Leistungen, sondern durch Zerstörung funktionierender Wirtschaftseinheiten und durch Umverteilung in einem globalen komplexen Transaktionssystem mit Counterstrike-Charakter erwirtschaftet werden.
Die Kosten des Finanzkapitalismusdesasters werden – direkt oder mittelbar – aus Steuergeldern und Umverteilungsmaßnahmen finanziert. Die Sparpakete treffen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die die Steuern monatlich zahlen und nicht jene, die sie hinterziehen; und sie treffen auf dem Umweg über Budgetanteile (Soziales, Umwelt, Bildung, Kultur, Wissenschaft etc.) jene Institutionen und Berufsgruppen und jene schlecht entlohnten Arbeiten, die dafür sorgen, dass der gesellschaftliche Zusammenhang, die soziale und zivile Gesellschaft, die Welt als friedlicher und konstruktiver Gestaltungsprozess überhaupt noch funktioniert.
Auch die von British Petrol durch deren schrankenloses Profitstreben wesentlich mitverursachte Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko – Großkonzerne wie BP und dessen Partner Halliburton und Transocean arbeiten in einem von öffentlicher Kontrolle freien Raum – zeigt deutlich, dass es im Gegensatz zum Dogma der Alternativlosigkeit zu einem neoliberalen Kapitalismus Alternativen geben muss. Öffentliche Diskussion, Kritik, Kontrolle und Gestaltung sind, wie der Ereignisbefund der letzten Monate in aller Deutlichkeit zeigt, unabdingbar. Stephan Schulmeister fordert daher folgerichtig mitten in der Krise einen »New Deal« für Europa. Stephan Schulmeister kennt seine Materie von den Entwicklungen und Paradigmen(-wechseln) der ökonomischen Theorie, als genau beobachtender Historiker im Hinblick auf die Gestaltungsakte, die die wichtigen Akteure in Wirtschaft und Politik national und international setzten und setzen, last but not least im Hinblick auf eine ethnologisch genaue Beobachtung und Analyse dessen, was das Wirtschaftsgeschehen im Wechselspiel zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft konkret ausmacht. Ich habe Stephan Schulmeister zu der in diesem Band veröffentlichten Analyse eingeladen, weil er wie kaum ein anderer Ökonom einen genauen und kritischen Blick auf das Wechselspiel und Wechselwirkungsverhältnis von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik hat. Stephan Schulmeister hat seine Beobachtungswarten am österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut und jene, die er in seiner Zusammenarbeit mit NGOs selbst mit errichtet hat, ausgezeichnet genützt. Er weiß im Hinblick auf die historische Konstellation, im Hinblick auf theoretische Entwürfe und aktuelle politische Strukturen sehr genau, wovon er spricht. Die Wiener Vorlesungen haben daher, aber auch wesentlich im Hinblick auf die gesellschaftskritischen Grundlagen und Zielsetzungen seiner Arbeit, Schulmeister zu der nun auch in Buchform vorliegenden Analyse eingeladen. Wir hoffen, mit dieser Publikation und den darin vertretenen Analysen und Thesen einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Gestaltung der Welt nicht nur und vor allem aus der Sicht der Interessen der Shareholder, sondern aus jener der Bürgerinnen und Bürger erfolgt, die ein berechtigtes Interesse an einer fairen Verteilung des Reichtums und der Güter dieser Welt haben.
Hubert Christian Ehalt
Vorwort
Dieser Essay basiert auf den
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