Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mitten in der Nacht

Mitten in der Nacht

Titel: Mitten in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
Vom Netzwerk:
Verstand verloren. Und dass er es eines Tages bereuen werde. Ja, er war sich ziemlich sicher, dass sie gesagt hatte: »Eines Tages wirst du es bereuen«.
    Bei der Reue war er noch nicht angelangt – noch nicht –, aber als er den Unkrautdschungel, die durchhängenden Galerien, die sich lösende Farbe und die kaputten Regenrinnen des alten Plantagensitzes betrachtete, verlor er das Vertrauen in seine geistige Gesundheit.
    Was hatte ihn dazu gebracht zu glauben, er könne diesem weitläufigen alten Wrack wieder zu seinem alten Glanz verhelfen? Oder, treffender, dass er es sollte? Er war halt nun mal Rechtsanwalt, ein Fitzgerald der Boston Fitzgeralds, und eher darauf gedrillt, den Hammer des Gesetzes als den des Handwerkers zu schwingen.
    Es war ein himmelweiter Unterschied, ob man in der Freizeit binnen zweier Jahre ein Stadthaus wieder bewohnbar machte oder nach New Orleans zog und sich als Bauunternehmer aufspielte.
    War das Gebäude denn schon in so einem schlimmen Zustand gewesen, als er das letzte Mal hier unten war? Konnte das sein? Das war jetzt fünf, nein, sechs Jahre her. Aber beim ersten Mal konnte es noch nicht so schlimm ausgesehen haben. Damals war er zwanzig gewesen und hatte zu Mardi Gras ein paar wahnsinnige Tage mit seinem Zimmerkollegen aus dem College verbracht. Elf Jahre, überlegte er und fuhr sich mit den Fingern durch sein dunkelblondes Haar.
    Das alte Anwesen Manet Hall hatte sich elf Jahre lang als fruchtbarer Keim in seinem Kopf eingenistet. Und unter dem Aspekt der Leidenschaft hatte er sich sogar länger behauptet als die meisten Beziehungen. Länger jedenfalls als jede seiner eigenen.
    Jetzt gehörte das Haus ihm, auf Gedeih und Verderb. Und schon beschlich ihn das Gefühl, dass ihn vom Verderb mehr als genug erwartete.
    Prüfend ließ er seine Augen, die so grau und jetzt auch so trostlos wie der Regen waren, über den architektonischen Aufbau wandern. In jenen weit zurückliegenden Februartagen hatten ihn die anmutigen Zwillingsbögen der Treppen, die auf beiden Seiten zur Galerie des ersten Stocks hinaufführten, begeistert. Und auch all die hohen Rundbogenfenster, der spleenige Belvedere, der auf dem Dach saß, die Eleganz der weißen Säulen und seltsam geformten Eisenbaluster. Er war fasziniert gewesen vom Formenreichtum dieser ausgefallenen Stilmischung aus Elementen der italienischen Renaissance und der griechischen Antike, die für ihn Sinnbild der Alten Welt und Südstaatenromantik zugleich war.
    Schon damals hatte er sich in Neuengland auf unerklärliche Weise fehl am Platz gefühlt.
    Das Haus hatte einen unheimlichen Sog auf ihn ausgeübt. Als hätte sich ein Angelhaken in seinem Gedächtnis festgesetzt, fand er jetzt. Die Innenausstattung stand bereits vor seinem geistigen Auge, ehe er und Remy eingebrochen waren, um diese auf einem Streifzug zu erkunden.
    Vielleicht hatte ihm aber auch das im Überfluss genossene Bier zu dieser Hellsicht verholfen.
    Einem betrunkenen Jungen, der kaum dem Teenageralter entwachsen war, durfte man nicht trauen. Aber einem stocknüchternen einunddreißigjährigen Mann auch nicht, musste Declan sich reuevoll eingestehen.
    Sobald Remy hatte verlauten lassen, dass Manet Hall erneut unter den Hammer kam, hatte er ein Gebot abgegeben. Ohne es gesehen zu haben, jedenfalls nicht mehr seit mehr als einem halben Jahrzehnt. Er hatte es einfach haben müssen. Als hätte er sein ganzes Leben nur darauf gewartet, es sein Eigen zu nennen.
    Den Preis fand er durchaus vernünftig, wenn er davon absah, was er noch alles reinstecken musste, um das Haus bewohnbar zu machen. Also würde er nicht weiter darüber nachdenken – nicht jetzt.
    Es gehörte ihm, ob er nun verrückt war oder Recht hatte. Wie auch immer, er hatte seine Aktenmappe gegen einen Werkzeuggürtel eingetauscht. Das allein hob seine Stimmung.
    Er holte sein Mobiltelefon hervor – der Anwalt aus Boston war nicht zu übersehen, aber... Noch immer in den Anblick des Hauses versunken, wählte er die Nummer von Remy Payne.
    Er landete bei der Sekretärin und sah Remy sofort vor einem Schreibtisch voller Akten und Fallunterlagen sitzen. Bei dieser Vorstellung musste er lächeln, ein rasches, schiefes Grinsen, das die glatten Flächen und Kanten seines Gesichts verschob, die Wangen hohl machte und die manchmal verbissene Mundlinie aufweichte.
    Ja, dachte er, das Leben könnte schlimmer sein. Der vor dem Schreibtisch könnte auch er sein.
    »Hallo, Dec.« Remys träger Südstaatenakzent glitt in seinen

Weitere Kostenlose Bücher