Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mitten in der Nacht

Mitten in der Nacht

Titel: Mitten in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
Vom Netzwerk:
eines Schornsteins, Teile einer von Rankgewächsen erdrückten Wand einer eingefallenen Arbeiterhütte, die pockennarbigen Ziegel und das rostige Dach eines alten pigeonnier – kreolische Plantagenbesitzer hatten oft Tauben gezüchtet.
    Er hatte zum Haus nur anderthalb Hektar Land dazubekommen, weshalb vermutlich andere Gebäude, die einstmals zur Plantage gehört hatten, nun auf fremdem Grund und Boden ihrem Verfall entgegendämmerten.
    Über die Bäume freute er sich. Unglaubliche Bäume. Die alten Steineichen, die einst die Allee gebildet hatten, tropften von Wasser und Moos, und die dicken, ausladenden Äste einer Platane erinnerten in ihren Verrenkungen an ein urzeitliches Ungeheuer.
    Ein Farbtupfer weckte seine Neugier und zog ihn hinaus in den Regen. Da blühte etwas, ein großer, buschiger Strauch mit dunkelroten Blüten. Was zum Teufel blühte denn im Januar?, wunderte er sich und nahm sich vor, Remy danach zu fragen.
    Mit geschlossenen Augen lauschte er einen Moment. Er hörte nichts als den Regen, sein Rauschen und Tropfen auf dem Dach, dem Boden, den Bäumen.
    Er hatte die richtige Wahl getroffen, sagte er sich. Er war gar nicht verrückt. Er hatte seinen Ort gefunden. Jedenfalls empfand er ihn als solchen, und was machte es schon, wenn er es doch nicht war? Dann würde er eben einen anderen suchen. Er hatte auf alle Fälle seine Energie geweckt, danach Ausschau zu halten.
    Er trat zurück ins Haus und ging summend durch den Ballsaal zurück zum Familienflügel, um sich dort die fünf Schlafzimmer anzusehen.
    Als er das Erste inspizierte, ertappte er sich beim lautlosen Singen.
    »Ist der Ball dann vorbei und bricht an der Tag, sind die Tänzer dahin mit den Sternen...«
    Er blieb stehen, um sich die Fußleiste genauer anzusehen, und warf dabei einen Blick über die Schulter, als erwarte er, dort jemanden hinter sich stehen zu sehen. Woher war ihm das zugeflogen?, wunderte er sich. Diese Melodie, dieser Text. Kopfschüttelnd richtete er sich auf.
    »Aus dem Ballsaal, du Idiot«, murmelte er. »Den Ballsaal im Kopf, hast du angefangen, vom Ball zu singen. Seltsam, aber nicht verrückt. Mit sich selber reden ist auch nicht verrückt. Das tun viele Leute.«
    Die Tür zum Zimmer auf der gegenüberliegenden Flurseite war geschlossen. Obwohl er mit quietschenden Türangeln gerechnet hatte, jagte das Geräusch dann doch einen Kälteschauer über seinen Rücken.
    Auf dieses Gefühl folgte unmittelbar Verwunderung. Er hätte schwören können, einen Duft zu riechen. Blumen. Lilien. Hochzeiten und Beerdigungen. Und für den Bruchteil einer Sekunde sah er sie direkt vor sich, rein und weiß, aber dennoch irgendwie ungezähmt in einer hohen Kristallvase.
    Als Nächstes reagierte er mit Verwirrung. Er hatte nur ein paar Sachen vorausgeschickt, darunter seine Schlafzimmermöbel. Die Umzugsleute hatten sie in den falschen Raum gestellt, obwohl er in seinen Angaben sehr genau gewesen war. Er hatte für sich das große Eckzimmer ausgesucht, von dem aus man einen Blick auf den Garten und den Teich in dessen hinterem Teil hatte sowie aus dem Seitenfenster die Eichenallee sah.
    Jetzt musste er sich mit diesem Zimmer abfinden oder das verdammte Zeug selbst hinüberschleppen.
    Der Lilienduft wurde übermächtig, als er die Tür ganz öffnete. Fast betäubend. Verwirrt stellte er fest, dass es nicht einmal seine Möbel waren. Das Bett war ein Himmelbett mit Draperien aus dunkelblauer Seide. Des Weiteren standen ein geschnitzter Kleiderschrank und eine hohe Kommode darin, alles auf Hochglanz poliert. Er konnte unter dem Blütenparfüm den Duft von Bienenwachs ausmachen. Sah die Lilien in dieser hohen Kristallvase auf dem Frisiertisch stehen, dessen Beine sich wie Schwanenhälse bogen. Davor ein fein gearbeiteter Stuhl, dessen Sitz eine komplizierte Stickarbeit in Blau und Rosa war.
    Bürsten mit Silberrücken, eine Brosche, an deren goldenen Flügeln eine Emaille-Uhr hing. Lange blaue Vorhänge, verzierte Wandlichter, deren Gasbeleuchtung ein weiches Schummerlicht ausstrahlte. Ein Damenmorgenrock war über die Lehne einer blauen Chaiselongue geworfen worden.
    Auf dem Kaminsims Kerzenleuchter und ein Bild im Silberrahmen.
    Das alles sah er, deutlich wie auf einem Schnappschuss. Aber noch ehe seine Gedanken eine Erklärung dafür zu formen vermochten, starrte er schon in ein leeres Zimmer und den Regen hinter vorhanglosen Fenstern.
    »Herr im Himmel.« Er packte den Türknopf, um Halt zu finden. »Was soll das?«
    Er sog die

Weitere Kostenlose Bücher