Mitternachtslust
unsicher und stimmte gleich darauf in Nataschas glückliches Lachen ein.
Melissa strich sich das Haar aus dem Gesicht, als wäre sie aus einem Traum erwacht. Dann zog sie vorsichtig die Tür weiter auf, huschte durch den Raum hinüber zu dem Sessel, neben dem ihre Tasche lag, ging mit einem scheuen Seitenblick in Richtung Paravent weiter zur Tür und wagte erst wieder, zu atmen, als es ihr gelungen war, die schwere Wohnungstür geräuschlos zu öffnen und hinter sich zu schließen.
Draußen lief sie mit raschen leichten Schritten die Stufen hinunter. Sie hatte keine Gelegenheit gehabt, mit Natascha zu sprechen, dennoch fühlte sie sich bestätigt. Sie wusste, dass das, was sie vorhatte, richtig war.
Die Liebe war das Wichtigste. Es gab Dinge, die man nur mit dem Herzen entscheiden konnte.
Leichtfüßig schlug Melissa die Richtung zum Parkplatz ein. Es war Zeit, nach Hause zu fahren. Vielleicht wartete Julius schon auf sie.
22. Kapitel
Melissa tupfte sich etwas von dem reinen Lavendelöl auf den Brustansatz, das sie extra für die heutige Nacht besorgt hatte. Sie wollte keines der teuren Parfüms benutzen, die Richard ihr regelmäßig von seinen Geschäftsreisen mitgebracht hatte und die noch immer ein ganzes Fach im Badezimmerschränkchen füllten. Es sollte ein ganz natürlicher, altmodischer Duft von ihr ausgehen. Ein Duft, den Julius vielleicht von früher kannte.
Sie betrachtete sich im Spiegel und öffnete das oberste der kleinen Häkchen, die das enge Oberteil des roten Ballkleides vorn zusammenhielten. Frau Gruber hatte es so geschickt wieder hergerichtet, dass der Riss, den Richards grobe Hände in jener furchtbaren Nacht dem glatten Stoff zugefügt hatten, nicht mehr zu sehen war.
Langsam bewegte Melissa sich durch ihr Schlafzimmer und genoss das Rascheln der Seide um ihre Beine. Erst zündete sie die drei Kerzen im Leuchter auf den Kaminsims an, dann die hohe schmale Kerze in dem Silberleuchter, den sie neben der Weinflasche auf den kleinen Tisch gestellt hatte. Schließlich knipste sie die Lampe neben ihrem Bett aus, ließ sich in einen der Korbsessel vor dem Kamin sinken und wartete.
Die Zeiger der kleinen goldenen Uhr auf dem Sims bewegten sich so langsam, dass sie zu befürchten begann, die Zeit könnte völlig stehenbleiben oder sich gar rückwärtsbewegen.
Nervös füllte sie eines der antiken Gläser mit Wein, nippte an der kühlen Flüssigkeit und starrte in die züngelnden Flammen im Kamin, den sie trotz der warmen Nacht angezündet hatte.
Immer noch fehlten fast zwanzig Minuten bis Mitternacht. Doch Julius hatte sich nie an bestimmte Uhrzeiten gehalten. Wenn er in dieser Nacht nicht kam, würde sie es wieder und wieder versuchen müssen. Aber sie wusste nicht, für wie viele Male ihr Mut reichen würde.
»Julius?«, rief sie mit halblauter Stimme in das Zimmer, das durch die zuckenden Schatten an den Wänden noch dunkler erschien.
Nichts geschah.
Einige Minuten starrte sie ins Feuer und fragte sich, ob sie vollkommen verrückt geworden war.
Als er ihr von hinten die Hand auf die Schulter legte, schrak sie zusammen und stieß einen leisen Schrei aus.
»Warum erschrickst du dich, wenn ich dich berühre?« Er klang traurig.
»Ich … ich habe nicht bemerkt, dass du gekommen bist.«
»Du hast mich gerufen.«
»Ja. Ich hatte Sehnsucht nach dir.« Mit fahrigen Bewegungen goss sie Wein in sein Glas und reichte es ihm. »Lass uns anstoßen!«
Da er keine Anstalten machte, sich zu setzen, stand sie auf, um ihr Glas gegen seines klingen zu lassen. Als er das Glas zum Mund führte, konnte sie nicht erkennen, ob er tatsächlich von der Flüssigkeit trank oder nur seine Lippen damit benetzte.
»Wirst du heute mit mir gehen?«, fragte er, nachdem er das Glas vorsichtig wieder auf dem Tisch abgestellt hatte.
»Ich kenne dich zu wenig. Kaum bist du gekommen, verschwindest du auch schon wieder.« Melissa streckte zögernd ihre Hand aus und legte sie auf den Ärmel seiner grauen Jacke. Ihr Herz klopfte bis in die Kehle. Eine Mischung aus Angst, Vertrauen und Verlangen bildete einen festen surrenden Knoten in ihrem Magen.
»Oft bin ich bei dir, ohne dass du es bemerkst.«
»Ja, doch dann fühle und sehe ich dich nicht«, flüsterte sie. »Und ich möchte dich spüren.«
Sie trat dicht neben ihn, so dass seine langen Beine sich zwischen den Stoffmassen ihres weiten Rocks verloren, während ihr Busen sich mit jedem ihrer Atemzüge an seinem Oberarm rieb.
»Du bist wunderbar. Du bist die Frau,
Weitere Kostenlose Bücher