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Mitternachtslust

Mitternachtslust

Titel: Mitternachtslust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Winter
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1. Kapitel
    Melissa blieb vor der gläsernen Fassade des modernen Bürogebäudes stehen und überprüfte in den spiegelnden Scheiben ihr Aussehen. Richard konnte es nicht leiden, wenn sie wie ein »gerupftes Huhn«, wie er es verächtlich zu nennen pflegte, in die Firma stürmte.
    Der heftige Wind, der ihr in dem Korridor zwischen den hohen Gebäuden auf dem Weg vom Parkplatz zum Haupteingang entgegengeweht war, hatte ihr schulterlanges Haar zerzaust. Mit beiden Händen bemühte sie sich, die kastanienbraunen Wellen zu richten, so dass sie zumindest ansatzweise den kühlen Schönheiten in Richards Büro glich, bei denen sich nie auch nur eine einzige Haarsträhne selbstständig zu machen schien. Dann klappte sie den Kragen ihrer Jacke ordentlich nach unten und zupfte ihren Rock gerade.
    Die Glastür öffnete sich selbsttätig, als Melissa sich dem Eingang näherte. Sie betrat die riesige Halle, in der sich die wuchtigen Sessel fast verloren, die in lockeren Grüppchen für Besucher bereitstanden. Um diese Zeit war das Gebäude nahezu leer, da die meisten Angestellten spätestens um achtzehn Uhr Feierabend machten.
    Mit klappernden Absätzen ging Melissa über den Marmorboden auf den Empfangstresen am anderen Ende der Halle zu. Als sie Kriener erkannte, einen der beiden Pförtner im Nachtdienst, unterdrückte sie einen Seufzer. Sie mochte es nicht, wie er sie ansah, und fand seine Freundlichkeit übertrieben und unecht.
    »Guten Abend, Frau Sander«, rief der Mann in der dunkelblauen Uniform ihr schon von weitem zu und strahlte dabei, als würde er sich tatsächlich über ihren Besuch freuen. Vielleicht langweilte er sich und war froh über jede Abwechslung. Oder er hoffte, dass sie ihn ihrem Mann gegenüber lobend erwähnte.
    »Guten Abend, Herr Kriener.« Zurückhaltend erwiderte Melissa sein Lächeln.
    »Ihr Mann ist noch oben in seinem Büro.« Die Hand des Pförtners zuckte zum Telefon. »Soll ich ihm sagen, dass Sie hier sind?«
    Melissa schüttelte den Kopf. »Nein danke. Ich möchte ihn gern überraschen.«
    Kriener runzelte die Stirn. Es war Besuchern nicht erlaubt, sich allein im Gebäude zu bewegen. Normalerweise schickte Richard seine Sekretärin herunter, um sie abzuholen und nach oben zu begleiten. Das wollte Melissa heute vermeiden. Erstens kam sie sich immer wie ein Kindergartenkind vor, wenn Rita Hill sie gönnerhaft in den Fahrstuhl und durch die Gänge führte, und zweitens wusste sie nie, worüber sie mit der Hill reden sollte.
    Melissa schenkte Kriener ein weiteres gezwungenes Lächeln. »Vielleicht kann ich meinen Mann überreden, ausnahmsweise etwas früher Feierabend zu machen und mit mir essen zu gehen. Es gibt noch so viel wegen unseres Umzugs nach Hamburg zu besprechen. Ein Überraschungsangriff ist in einer solchen Situation meistens am wirkungsvollsten. Er hat doch nie Zeit und würde sich sonst tausendundeine Ausrede ausdenken, während ich noch auf dem Weg nach oben bin.«
    Krieners Nicken drückte väterliches Verständnis aus. Plötzlich hatte er nichts Unterwürfiges mehr an sich, sondern war einfach nur ein freundlicher älterer Herr.
    »Ja, ein Umzug bringt immer eine Menge Arbeit und Unruhe mit sich«, stimmte er zu. »Ich habe schon davon gehört, dass Herr Sander demnächst nach Hamburg gehen wird. Man hat ihm die Geschäftsleitung der dortigen Niederlassung angeboten, nicht wahr?« Er schien nicht besonders traurig darüber zu sein, dass Richard fortging.
    Melissa nickte. Sie wusste, Richard mochte es nicht, wenn sie mit Angestellten von Silver Electronics über Privates oder, schlimmer noch, Geschäftliches sprach, doch Richards Beförderung vom Verkaufsleiter Süd zum Geschäftsführer der Hamburger Niederlassung war ohnehin schon im ganzen Haus bekannt.
    »Es ist sicher nicht schön für Sie, nach so kurzer Zeit schon wieder umziehen zu müssen. Sie sind doch erst vor drei Jahren nach Frankfurt gekommen. Aber alles im Leben hat seinen Preis, auch der Erfolg. So ist das nun mal.« Kriener hatte im Nachtdienst viel Zeit zum Nachdenken.
    »Ja, sicher.« Melissa betrachtete das edel gerahmte Werbeplakat füreinige Firmenprodukte , das hinter Krieners Kopf hing. »Dann fahre ich jetzt nach oben.«
    Sie ließ sich eines der Plastikkärtchen aushändigen, die Besucher im Gebäude tragen mussten, befestigte es mit dem Metallclip an ihrer Jacke und lief zu den Fahrstühlen.
    »Hoffentlich hat Ihr Mann Zeit, mit Ihnen essen zu gehen!«, rief Kriener ihr hinterher.
    Sie nickte ihm zu,

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