Mittsommerzauber
sie blendete. Erst mit einiger Zeitverzögerung ging ihr auf, dass sie nicht im Bett lag, sondern die Nacht mit David auf dem Boot verbracht hatte. Sie hatten auf dicken Schaffellen geschlafen, die er aus dem Bootshaus geholt hatte. Es war gar nicht mal so unbequem, abgesehen davon, dass ihr ganzer Körper schmerzte wie nach einer ausgedehnten Prügelei. Nicht, dass sie sich je geprügelt hätte, aber sie war davon überzeugt, dass es sich so und nicht anders anfühlte.
Schwer zu sagen, ob ihr Einsatz bei der Schafschur daran schuld war oder ob es eher an ihren nächtlichen Aktivitäten lag. Sie spürte das Blut in ihre Wangen schießen, als sie sich daran erinnerte, was sich hier nach Mitternacht in der Zeit zwischen eins und schätzungsweise vier Uhr früh abgespielt hatte. Sie hatte sich immer für eine Frau mit normal ausgebildeter Sexualität gehalten, aber das, was sie mit David erlebt hatte, sprengte all ihre Vorstellungen von Leidenschaft und Erotik auf eine Weise, dass es keinen Zweifel geben konnte, wie einmalig diese Beziehung war.
Es fragte sich nur, ob sie überhaupt eine Beziehung hatten. Sowohl in ihrem als auch in seinem Leben gab es einige Dinge, die dagegen sprachen. Zum Beispiel Henning auf der einen und Monica auf der anderen Seite. Außerdem hatte David von Amerika gesprochen, von einem neuen Job und neuen Chancen. Eva hatte es nicht richtig mitbekommen, denn ihr Kopf war übervoll gewesen von tausend anderen Gedanken. Doch heute, im grellen Licht des frühen Morgens, fiel ihr einiges von dem, was er gesagt hatte, wieder ein, denn plötzlich war jedes Wort bedeutsam, das gegen diese zerbrechliche neue Bindung stehen konnte.
Leise stöhnend kämpfte sie sich unter der Decke hervor, die David gestern Nacht über sie beide gebreitet hatte. Er lag neben ihr, lang ausgestreckt auf der Seite, den Kopf auf einen angewinkelten Arm gebettet und ein Bein angezogen. Im Schlaf sah er aus wie ein Junge, auf so spitzbübische Weise kindlich, dass Eva sich spontan ihren Zeichenblock herbeiwünschte, um dieses Bild mit ihren eigenen Händen festhalten zu können.
Sie hockte sich im Schneidersitz neben ihn und beobachtete ihn fasziniert beim Aufwachen. Er schlug langsam und blinzelnd zuerst ein Auge auf, und dann, als er sie sah, folgte das andere mit größerer Geschwindigkeit.
»Du bist ja schon wach«, murmelte er. »Schon Zeit fürs Frühstück?«
»Hunger hätte ich schon.«
Er setzte sich auf und hängte sich die Decke um die Schultern. »Ich auch.« Er beugte sich vor, um sie zu küssen, und einen atemlosen Augenblick lang genossen sie beide die Nähe des jeweils anderen.
»Ich fürchte, ich kann dich hier nicht mit einem opulenten Frühstück verwöhnen«, sagte David.
»Ich verzeihe dir«, meinte Eva. »Wenn du versprichst, dass es nie wieder vorkommt.«
Anstelle einer Antwort griff David nach einer Angel, die seitlich am Boot befestigt war, und warf sie mit zielsicherem Schwung aus.
»Was soll das werden?«, fragte Eva amüsiert.
Er grinste sie an. »Frühstück?«
Sie kicherte und nahm ihm die Angel aus der Hand. »Da ziehe ich doch ausnahmsweise die herkömmliche Variante vor.«
Sie küssten sich erneut, dann zogen sie sich schweigend an. Eva betrachtete ihn verstohlen, und schließlich wagte sie es, die brennende Frage zu stellen. »Wir sollten wohl über Monica reden, oder?«
»Sie ist in Chicago«, sagte David tonlos. »Bereitet da unsere Zukunft vor.«
»Dieser Job, von dem du gesprochen hast - was genau bedeutet es?«
»Ich habe ein hervorragendes Angebot von einem amerikanischen Lebensmittelkonzern. Von so was träumt man sonst nur.«
»Wann wollt ihr rübergehen?«
»Wenn es nach Monica ginge, spätestens im September, aber ich...«
Sie fiel ihm ins Wort. »September - da ist es wunderschön rund um Chicago. Indian Summer.«
Er schaute sie unverwandt an. »Der September ist auch hier in Schweden sehr schön. Ich liebe es, wenn die ersten Nebel kommen. Und wenn am Ende des Sommers alles plötzlich so still wird.«
»Ein bisschen wie ein Märchenzauber«, pflichtete sie ihm leise bei.
Sie schwiegen eine Weile, jeder seinen Gedanken nachhängend.
»Und du?«, fragte David schließlich. »Gibt es bei dir jemanden?«
Sie zögerte, doch dann nickte sie. Sie wollte mehr erzählen, ihm erklären, dass diese Beziehung nicht mehr von
Bedeutung für sie war, doch er hatte sich bereits abgewandt, um auf den Steg zu klettern. Sie folgte ihm, und gemeinsam gingen sie zum Haupthaus
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