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Wolfstränen - Roman (German Edition)

Wolfstränen - Roman (German Edition)

Titel: Wolfstränen - Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Farmer
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Prolog
     
    Die 22-Uhr-Vorstellung des Covent Garden Theater war ausverkauft.
    Bernard Scofield lehnte sich über die Brüstung und starrte gebannt auf die Bühne. »Er ist es - darauf verwette ich mein Leben«, murmelte er dumpf.
    Die Frau an seiner Seite lächelte und schüttelte den Kopf. »Du bist besessen, Bernhard!«
    »Dieser Mann hat meinen Vater getötet!«
    »Dafür hast’e keinen Beweis. Für die Karten sind uns’re letzten Kröten draufgegangen. Also genieß’ die Vorstellung.«
    »Meggy, schau dir die Leute an«, flüsterte Bernard. »Normalerweise werden in jedem Theater in dieser verdammten Stadt während der Vorführungen Flaschen geleert, Zoten gerissen und Tomaten geworfen, aber wenn Der Große Makabros auftritt, ist es mucksmäuschenstill!«
    »Er is’ der berühmteste Zauberer von der Welt!«, sagte Meggy.
    Bernard lachte hart. »Er ist ein Mörder!«
    Der Mann, der neben Bernard saß, rückte ein Stück weg, rümpfte demonstrativ seine Nase und tuschelte mit seiner Begleiterin, die ihren Fächer bediente, als wolle sie sich damit die Nasenspitze abschlagen.
    Was sucht dieser Abschaum hier?, schien die Frau mit dieser Geste auszudrücken.
    Der Große Makabros breitete seine Arme aus, wobei ihn ein Tusch der Kapelle begleitete. Seine silberne Maske starrte den achthundert Besuchern entgegen. Mehrere Blendlaternen, die von unsichtbaren Bühnenarbeitern gelenkt wurden, tauchten ihn in weißes Licht. Um ihn herum wallten Nebel über den Bühnenboden.
    «Madames und Monsieurs ... Ladys und Gentleman ... in dieser Nacht werde ich Sie mit dem Unbekannten konfrontieren. Ihre schlimmsten Alpträume werden sich bewahrheiten, die Dunkelheit wird ihre Schwingen über Sie legen.«
    Frenetischer Beifall brandete auf. Ein Blitz zischte hoch, verpuffte und in derselben Sekunde war der Künstler verschwunden und die Bühne war leer.
    »Sehen Sie mich an!«, hallte ein Befehl durch das Theater. »SEHEN SIE MICH AN!«
    Köpfe schnellten herum. Das Publikum seufzte und stöhnte, als es den Zauberer zehn Meter über dem Parkett in einer Loge auftauchen sah. Er sah aus wie eine menschliche Fledermaus, die Maske hinter einem schwarzen Umhang verborgen, den er mit einer theatralischen Geste vor das Gesicht hielt.
    »Wie hatt’a das gemacht?«, wisperte Meggy und klammerte sich an Bernard fest.
    »Das war ein Kinderspiel für ihn! Wenn er wollte, könnte er mit einem Zauberspruch das ganze Gebäude in Schutt und Asche legen«, zischte Bernard.
    »Du spinnst! Das sind doch nur Kunststücke und Tricks!«
    »Er kann die ganze Welt täuschen ... mich täuscht er nicht! Ihm habe ich zu verdanken, daß mein Vater und meine Mutter vor Kummer starben und meine Schwester in den Straßen verloren ging, und wegen ihm lebe ich wie eine verlauste Ratte in der Fields Lane.«
    Das Publikum löste sich aus seiner Starre und klatschte.
    »Ich will dir ma’ was sagen, Bernie! Du gehst mir auf die Nerven.« Meggy blitzte ihn wild an und ihre struppigen Haare glühten im Flackerlicht dessen, was sich auf der Bühne abspielte. Bernard verzog keine Miene. Er betrachtet das abgerissene Geschöpf neben sich. Er liebte die Frau wie eine Schwester.
    »Hör zu, Bernard! Deine verrückte Geschichte habe ich schon tausendmal gehört. Es ‘is ‘ne fixe Idee von dir! Und so langsam hab’ ich die Nase voll! Wir mußten drei ganze Tage für den Eintritt arbeiten und währen fast nich’ reingelassen worden. Und jetzt verdirbst du uns mit deinem Unsinn das Vergnügen!« Sie ließ sich in den Sitz zurückfallen und zog eine Schnute.
    Das Theater erbebte unter grollendem Donner. Eine Stimme hallte: Ich bin der Herrscher! Ich werde dich vernichten, Makabros!
    Der Große Makabros lachte siegessicher. Rauch stieg auf der Bühne hoch und der Zauberkünstler trat an den Bühnenrand, was das Publikum ächzend quittierte. Soeben war er noch oben auf der Loge gewesen, und nun …
    Er warf kleine Explosionsbälle aus seinen Handflächen und kämpfte mit Blitzen und herabsinkenden glitzernden Sternen gegen den imaginären Feind. Gegenstände schossen wie von Geisterhand bewegt über die Bühne. Der Vorhang bauschte sich und ein Gnom wickelte sich aus dem dicken Stoff und machte Faxen. Das Publikum lachte erleichtert.
    Der Zauberer legte blitzschnell seinen Umhang über die verwachsene Kreatur und schnippte demonstrativ mit den Fingern. Der Gnom war verschwunden.
    Die Köpfe der Zuschauer fuhren hoch.
    Dreißig Fuß über ihnen baumelte ein Käfig. In ihm

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