Mittsommerzauber
noch sein verblüfftes Gesicht vor Augen, als sie plötzlich aufgestanden und zur Tür gegangen war. »Ich fahre noch mal raus zu meinem Vater. Ist wohl das Wenigste, nachdem er so krank war.«
Und schon war sie aus der Tür gewesen, bevor er protestieren konnte. Ihr Handy hatte sie wohlweislich zu Hause gelassen. Sie hatte kein Interesse daran, weitere Argumente gegen Chicago zu hören. Im Gegenteil, jetzt war sie am Zug. Sie würde ihn vor vollendete Tatsachen stellen, und er würde sehen, dass es nur zu ihrer beider Besten war.
Sie wollte schon zum Haus hinübergehen, als ihr Vater aus dem Stall kam, in jeder Hand einen vollen Milcheimer. Er ging gebückt und dabei zugleich eigentümlich steif und verkrampft. Seine ganze Haltung signalisierte seine Hinfälligkeit, und bei diesem Anblick war Monica mehr denn je davon überzeugt, das Richtige zu tun.
»Papa«, rief sie. Nicht ohne Mühe ging sie ihm entgegen. Ihre hochhackigen Pumps waren nicht gerade das richtige Schuhwerk für die mit Kies ausgestreute Fläche.
»Wie geht es dir? Bist du sicher, dass du wieder in Ordnung bist?«
»Mir geht es gut«, sagte Gustav. Seine Stimme klang reserviert, doch der Ausdruck in seinen Augen wurde weicher, als er sie betrachtete. »Du warst in Chicago? Ist alles gut gelaufen?« Er holte Luft und stellte vorsichtig die Eimer ab, um sich verstohlen den Rücken zu reiben. »Ich meine, lief es so, wie du es dir vorgestellt hast?«
»Optimal.« Sie lächelte ihn an. »Deswegen bin ich ja auch hier. Ich muss etwas mit dir besprechen. Du musst mir helfen.«
Er starrte sie an und schluckte heftig. »Ich? Dir helfen? Du... Du hast mich noch niemals um Hilfe gebeten!«
»Aber jetzt tu ich es.«
»Was kann ich denn für dich tun?« In seine Augen war ein so absurd hoffnungsvoller Ausdruck getreten, dass Monica unwillkürlich wegschauen musste. »Es geht um das Haus, das ich in Chicago kaufen will.« Jetzt schaute sie ihn wieder voll an. »Im Grunde geht es dabei um mein ganzes Leben.«
Gustav wich ihren Blicken nicht aus. Sie erkannte genau den Moment, in dem er begriff, worauf sie hinauswollte. Seine Schultern sackten unmerklich nach vorn, und das Licht in seinen Augen wurde stumpf.
Was tust du ihm an?, schrie es in ihr. Doch ein anderer Teil von ihr wusste, dass sie keine andere Wahl hatte.
*
Eva bremste, als ihr der Wagen entgegenkam. Einen Augenblick lang glaubte sie, David sei zurückgekehrt, doch dann sah sie, dass eine schwarzhaarige Frau am Steuer saß. Eva wusste sofort, dass sie Monica vor sich hatte.
Der Wagen brauste an ihr vorbei, ohne dass die Fahrerin sie eines Blickes gewürdigt hätte. Eva schaute ihm kurz nach, dann setzte sie ihre Fahrt fort, bemüht, die Besorgnis nicht zu stark werden zu lassen, die seit dem Auftauchen der Frau in ihr aufgekeimt war.
Schwieriger war es dagegen, nicht darüber nachzudenken, ob David sich schon mit Monica ausgesprochen hatte.
Eva verbot sich weitere Überlegungen zu dem Thema. Sie stellte ihr Rad ab, nahm die Tüte aus dem Gepäckkorb und machte sich auf die Suche nach Gustav. Sie fand ihn nach einer Weile auf der Bank, von der aus man sowohl den Pferch als auch den See überschauen konnte. Akka hockte neben ihm, den Kopf auf die Knie des Alten gelegt. Gustav kraulte dem Hund das Fell, doch seine Bewegungen waren eher mechanisch als konzentriert, und als Eva näher kam, hob Gustav die freie Hand und wischte sich über die Augen.
Von Mitleid durchströmt, trat Eva an die Bank und legte ihre Hand auf seine Schulter. »Hier sind Sie. Ich dachte schon, es ist niemand da.«
»Sie sind ja immer noch da«, sagte er. Sein Ton war unwirsch wie eh und je, aber sie sah die Tränenspuren auf seinen Wangen und ließ sich daher von seiner unbeteiligten Miene nicht täuschen. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie sich für ihre unbeherrschten Worte bei ihrer letzten Begegnung entschuldigen sollte, doch dann sagte sie sich, dass er darauf vermutlich nicht den geringsten Wert legte.
Also würde sie versuchen, es auf andere Weise wieder gutzumachen. Rasch holte sie den Pullover aus der Tüte und drückte ihn Gustav in die Hände. »Ich bin gekommen, um Ihnen ein Geschäft vorzuschlagen.«
»Was ist das?« Gustav befühlte den Pullover.
»Ihre Wolle, mein Design. Ich bin Textildesignerin, falls
Sie das noch nicht gewusst haben. Finden Sie nicht, dass es gut aussieht?«
Gustav brummte etwas, das ebenso gut eine Zustimmung wie eine Ablehnung sein konnte, doch Eva ließ nicht
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