Mittsommerzauber
legte die Tablette neben das Glas auf den Tisch und öffnete die Tür.
Sven sah sie fragend an.
»Mama? Geht es dir besser?«
Sie ließ ihn eintreten.
»Es tut mir Leid, dass ich deine Pläne umgeworfen habe, aber ich kann das nicht. So will ich meinen Geburtstag auf keinen Fall feiern.«
»Ich will dich selbstverständlich zu nichts zwingen. Es ist dein Geburtstag, und du bestimmst, wie er aussehen soll.«
Sven sah die Tablette neben dem Glas liegen. Er wusste nicht, was in seiner Mutter vorging. Zum ersten Mal verstand er sie nicht.
»Ich meine, wenn du bei Katarina Fredholm kein gutes Gefühl hast, dann werde ich mich selbstverständlich...«
»Um sie geht es nicht.« Ihre Stimme klang unsicher.
»Um wen dann? Willst du mir nicht sagen, was los ist? Ich kann nicht verstehen, was passiert ist.«
Die Trauer in ihren Augen machte ihm Angst. Sie erinnerte ihn an die Tage und Wochen nach dem Tod seines Vaters. Damals waren Vivecas Augen genauso wie jetzt mit dieser tiefen Hoffnungslosigkeit erfüllt gewesen.
»Sag es mir, Mama. Ich kann dir vielleicht helfen.«
»Ich dachte, es sei eine gute Idee, dieses Haus zu kaufen. Wahrscheinlich habe ich gehofft, etwas von meiner Jugend zurückzuholen. Aber ich muss wohl einsehen, dass so etwas nicht geht. Was vorbei ist, ist vorbei.«
Sven nahm ihre Hand in die seine und streichelte den blassen Handrücken mit den feinen blauen Adern.
»Ich würde dir gerne helfen. Ich wünschte, ich könnte etwas tun.«
Viveca sah seine Hilflosigkeit und schämte sich dafür, ihm so viel Kummer zu machen. Ihrem einzigen Sohn, der sich voller Liebe und Aufmerksamkeit um sie kümmerte. Aber sosehr sie es wollte, sie konnte nicht aus ihrer Haut.
»Sag mal, als du im Tärna warst, hast du da mit...« Sie konnte nicht weiterreden.
Sven sah sie fragend an. Was wollte sie wissen?
»Ich meine... bist du da auch dem Besitzer begegnet?«
Viveca war sich sicher, dass Sven sehen konnte, wie stark ihr Herz jetzt gegen ihre Brust schlug. Sie presste die rechte Hand auf ihr Herz, so als hätte sie Angst, es könne ihr aus der Brust springen. Und sah ihn angstvoll an. Mit kaum verständlicher Stimme sprach sie weiter: »Ich meine, hast du Johan Vasen gesehen?«
Sven sah sie verwundert an. Wieso fragte Viveca nach Johan Vasen? Und wieso war sie so schrecklich nervös? Er schüttelte den Kopf.
»Nein, leider nicht. Ich hätte ihn gerne kennen gelernt. Er soll ja ein genialer Koch gewesen sein, ich hab die tollsten Sachen über ihn gehört...«
»Gewesen sein...«
Vivecas Stimme war kaum zu hören.
»Das heißt doch nicht, er ist...«
Sie konnte nicht weiter reden.
»Er ist leider gestorben. Vor sechs Wochen, glaube ich. Es ist zu schade, ich hätte mir wirklich gewünscht, dass er selbst das Catering bei deinem Fest übernommen hätte.«
Viveca drehte sich weg. Heiße Tränen liefen über ihre Wangen. Tränen, die ihr Sohn nicht sehen sollte. Johan war tot. Das konnte doch nicht sein. Er konnte doch nicht gegangen sein, ohne dass sie ihn noch einmal gesehen hatte. Sie fühlte sich, als sei alle Wärme aus ihr gewichen. Erst Max. Jetzt Johan.
»Mama. Was ist mit dir? Hast du Johan Vasen gekannt?«
Viveca konnte ihn noch immer nicht ansehen.
»Flüchtig. Aber das ist lange her. In einem anderen Leben.«
Sie wusste, dass Sven sich Sorgen um sie machte. Aber im Moment war sie einfach nicht in der Lage, mit ihm zu reden.
»Würdest du mich jetzt bitte allein lassen. Die Kopfschmerzen, du weißt schon.«
Sven wusste, dass er im Moment nichts tun konnte. Nicht für seine Mutter, nicht für Katarina. Er berührte sie leicht an der Schulter.
»Wenn du mich brauchst, ich bin da.«
Sie legte kurz ihre Wange gegen seine Hand.
»Ich danke dir, mein Junge. Aber mach dir keine Sorgen. Ich bin nur ein bisschen durcheinander. Morgen ist alles wieder in Ordnung.«
Aber sie wusste, dass das nicht stimmte. Morgen würde es wie heute sein. Wie gestern. Wie vor zwanzigJahren. Der Schmerz, der seit damals in ihr wütete, würde nicht durch Johans Tod ausgelöscht werden. Im Gegenteil, sie fürchtete, dass sie nun nie mehr eine Chance haben würde, sich mit ihren Gefühlen auszusöhnen.
*
Katarina zog fröstelnd die Schultern hoch. Sie hatte vergessen, dass die hellen Nächte auf den Inseln doch immer zwei bis drei Grad kühler waren als die Mittsommernächte in Stockholm, wo die alten Häuser die Sonne des Tages länger speicherten. Mit einer gewissen Wehmut sah sie auf das kleine Boot,
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