Die Jagd nach dem Vampir
1
KIT SMITH war nicht mit Nell Harris durchgebrannt, und das war gut so, denn sonst hätte ich meine beste Freundin Emma Harris von einer Klippe stoßen müssen.
Bevor ich England verließ, um die Sommerferien in den Rocky Mountains zu verbringen, hatte ich Emma strikte Anweisungen erteilt. Sie sollte mit allen Mitteln verhindern, dass ihre Stieftochter Nell ihren Stallmeister Kit Smith heiratete. Und wenn sie dafür Nell in ein Kloster stecken und Kit ein paar Monate in die Sattelkammer hätte einsperren müssen. Emma hatte dafür zu sorgen, dass sich während meiner Abwesenheit nichts zwischen den beiden abspielte, was einer Eheschließung gleichkam. Ansonsten hätte sie bei meiner Rückkehr mit ernsten Konsequenzen zu rechnen gehabt.
Dabei hatte ich gar nichts gegen die Heirat. Im Gegenteil, ich brannte geradezu darauf. In der Tat brannte ich schon so lange darauf, dass es mich – und möglicherweise auch Emma – umgebracht hätte, wenn sie stattgefunden hätte, während ich fünfeinhalbtausend Kilometer entfernt war. Zum Glück für Emma war nichts dergleichen geschehen.
»Ich habe dir doch gesagt, sie werden nicht durchbrennen«, sagte sie gelassen.
Es war Mitte Oktober, ein trüber, verregneter Dienstagnachmittag. Mein Mann, Bill, war auf der Arbeit, unsere Söhne, Will und Rob, in der Schule, und ihre unbezahlbare Nanny, Annelise Sciaparelli, stand im Speisezimmer und summte leise vor sich hin, während sie den linken Ärmel ihres zauberhaften handgenähten Hochzeitskleids mit Perlen bestickte. Die Hochzeit sollte erst in acht Monaten stattfinden, aber Annelise war nicht der Typ, der etwas auf die lange Bank schob.
Stanley, unser schwarzer Kater, war aus dem Speisezimmer verbannt worden, weil er den gefährlichen Hang besaß, sich auf Nadeln zu stürzen, die sich bewegten. Ich wusste nicht, wohin er sich verzogen hatte, wahrscheinlich lungerte er in Bills Lieblingssessel im Wohnzimmer herum. Stanley hatte schon vor langer Zeit beschlossen, dass er Bills Kater war.
Emma und ich saßen bei einer Kanne Earl Grey am Küchentisch. Dazu gab es frisch gebackene Makronen und den neuesten Klatsch. Der Regen prasselte wie Gewehrfeuer gegen die Fenster, durch die man in den unter Wasser stehenden Garten schauen konnte, aber dank des warmen Ofens hatten wir es gemütlich.
Es war schon ewig her, seit Emma und ich uns zu einem schönen, altmodischen Teeklatsch zusammengesetzt hatten, denn Emmas prall gefüllter Terminkalender ließ ihr kaum Zeit, sich überhaupt mal hinzusetzen. Wenn sie nicht gerade im Anscombe Riding Center aufstrebende Reiter unterwies, kümmerte sie sich um ihren ausgedehnten Gemüsegarten oder kochte dessen Erträge ein. Außerdem entwarf sie Webseiten für anspruchsvolle Kunden und wachte über die nicht enden wollenden Renovierungs- und Restaurierungsmaßnahmen auf Anscombe Manor, dem ehrwürdigen Heim, das sie sich mit Derek, ihrem Ehemann, teilte.
Ich hatte mich unsäglich gefreut, dass sie sich durch das miese Wetter und den unwiderstehlichen Drang, ihren zahlreichen Pflichten für kurze Zeit zu entkommen, auf eine Tasse Tee und eine gute Portion Klatsch in mein Cottage hatte locken lassen. Von Annelises Hochzeit waren wir natürlich schnell zu Spekulationen über Kit und Nell gekommen. Das Thema war freilich nicht neu, wir hatten es schon x-mal aufgewärmt.
»Ich weiß, dass du gesagt hast, sie würden nicht durchbrennen«, räumte ich ein. »Aber warum denn nicht? Warum hat Kit ihr keinen Antrag gemacht? Warum hat er Nell nicht über den Sattel seines Pferdes geworfen und ist mit ihr davongeritten? Er und Nell – diese Verbindung ist im Himmel geschmiedet worden, das weiß jeder, Kit eingeschlossen. Was hält ihn also ab?«
»Er führt mal wieder das Alter an«, erwiderte Emma.
»Was hat das Alter damit zu tun?«, entgegnete ich ungeduldig. »Na gut, Kit ist etwas älter als Nell …«
»Kit ist doppelt so alt wie Nell«, unterbrach mich Emma. »Nell ist achtzehn, Kit sechsunddreißig.«
»Na und?«, gab ich zurück. »Du weißt so gut wie ich, dass Nell schon immer zu alt für ihr Alter war. Das Wichtigste ist doch, dass sie Kit liebt und niemals jemanden außer Kit lieben wird. Als sie an der Sorbonne war, haben Prinzen um ihre Hand angehalten, aber sie hat sie abgewiesen, weil sie eben nicht Kit waren. Man sollte meinen, er hätte die Botschaft verstanden.«
»Ich meine, das geht uns nichts an«, sagte Emma ruhig.
Missmutig biss ich mir auf die Zunge und fragte mich, nicht
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