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Mobile Röntgenstationen - Roman

Mobile Röntgenstationen - Roman

Titel: Mobile Röntgenstationen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ATHENA-Verlag e. K.
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Hauptmann hatte seine Kindheit mit einem gewissen Vaitkus verbracht. Sie waren aus demselben Dorf, hatten zusammen das Vieh gehütet. Ja, mit Marius Katiliškis [52] , der damals Vaitkus hieß. Ein anderer hätte sich ein paar Notizen gemacht, ich nicht. Natürlich hörte ich aufmerksam und mit der geforderten Ergriffenheit zu, der alte Esel erzählte in weinerlich-sentimentalem Tonfall. An alles erinnerte er sich, selbst an die Namen der Kühe. Er gab mir seine Telefonnummer, die private und die dienstliche. Wozu? Abschließend bedankte ich mich und wusste, dass ich ihn nie anrufen würde. Weiter keine Bekannten. Ich kehrte zurück, als es schon dunkel war, sank ins Bett und schlief durch bis zum Morgen. Dann, ich hatte eine Tasse Tee getrunken, pennte ich weiter, um nach dem Wachwerden zwei Dinge zu begreifen. Das erste: Dass ich wahnsinnig leichtsinnig gehandelt hatte, ins Vaiva einzukehren. Und das zweite: Ich werde es doch wieder tun, weil ich es anders nicht aushalte! Und das, obwohl ich erstmals im Leben mein Quartier hatte und meine Autonomie genießen durfte. Ich genoss tatsächlich einige Annehmlichkeiten, Geld war da, und schon stumpfte der Selbstschutzinstinkt ab? Es war wohl so, leider.
    Gegen Mittag erwachte ich und wollte wieder irgendeine Platte auflegen, aber vergeblich, das Gerät funktionierte nicht, kein Strom. Ich musste die Sicherungen kontrollieren, die waren im Korridor. Tatsächlich, eine davon musste gewechselt werden, so viel verstand zum Glück auch ich noch. Als ich sie einschraubte, tauchte die Schieläugige auf, grüßte höflich, dann kicherte sie aus irgendeinem Grund. Als das Licht brannte, betrachtete ich sie genauer. Sie war noch jung, und wären da nicht diese hervorstehenden und schielenden Augen gewesen … Weil sie mich nun schon gesehen hatte, ging ich in den Hof hinaus, um zu rauchen, und erblickte dort, erstmals in meinem Leben, Doloresa Lust. Klar, ich wusste weder, dass es Doloresa war, noch, dass sie Lust hieß, nichts wusste ich. Da saß einfach auf einer Bank im Hof eine schmächtige Halbwüchsige mit langen schwarzen Haaren, Beinen, die dünn wie Bleistifte waren, braunen Schuhen und dunklen Augen. Hartnäckig zog sie an einer Zigarette und blätterte in irgendeinem Buch.
    Du wirst erfrieren, Kindchen, entfuhr es mir. Sie blickte auf – da sah ich, dass ihre Augen dunkel waren – und lächelte: Nur keine Sorge, Onkelchen! Sie erhob sich und ging. Solch dünne Beine hatte ich wirklich noch nicht gesehen. Ich traf sie vorerst nicht mehr, doch das Mädchen selbst behielt ich in Erinnerung. Zehn Jahre später begegneten wir uns erneut, nun schon unter ganz anderen Umständen, und von da an wanderte Doloresa Lust wie ein gutartiges Phantom durch meine Schriften. Und wird das weiterhin tun, solange ich etwas zu Papier bringe.
    In der Nacht klingelte das Telefon. Aus dem nicht unterbrochenen Signalton war zu ersehen, dass es ein Ferngespräch war. Ich nahm den Hörer ab. Lucija rief an, noch aus Moskau. So viele Formalitäten und Umständlichkeiten, klagte sie, so viel Bürokratie, aber morgen, morgen gehe es los! Sie scherzte, lachte, wünschte mir alles Gute. Dann brach die Stimme mitten im Satz ab. Das letzte Lebenszeichen von Lucija.
    Was sich im Folgenden abspielte, war alles sehr logisch. Wie soll man es anders nennen, wenn man die Dinge kalt und objektiv bewertet? Nur ein Idiot konnte sich so betragen, wie ich es damals tat. Am nächsten Tag sollte schon die Mathematikerin anrücken. Mir schien das ein klarer Fall von Freiheitsberaubung, Menschenrechtsverletzung, Verlust der mir so teuren Autonomie! Daher beschloss ich, noch einmal richtig einen drauf zu machen: Das Geld reichte. Ich durchkämmte die trüben Cafés und Bars in der Altstadt. Gegen Abend gelangte ich ins Zentrum, stieß auf Freunde und Bekannte. Ich gab für alle einen aus, so, als ahnte ich bereits etwas. Als wir aus dem Palanga wankten und lauthals ein Lied anstimmten, war bereits die Miliz zur Stelle. Meine Freunde nahmen die Beine unter den Arm und entwischten, und mich sackten sie ein. Das war’s, dachte ich ohne jede Emotion, als sie mich in dem kalten, blauen Einsatzwagen, zusammen mit noch einigen Säufern, in die nahe gelegene Tadas-Kosciuška-Straße brachten. Ich wusste, dort, entlang der Neris, gab es nicht nur Gefängniszellen, sondern auch eine große Ausnüchterungsanstalt. Bei meiner Festnahme machte ich keine Schwierigkeiten, naiv hoffte ich dafür auf irgendwelche Erleichterungen.

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