Mobile
ihn einige Jahre älter wirken. Was sein Äußeres betraf, war Joachim durchaus eitel. Dass die schwarzen Haare von ersten grauen Strähnen durchzogen waren und bereits ausdünnten, störte ihn weniger, denn schließlich konnte er dagegen nichts unternehmen. Anders verhielt es sich bei seiner Figur. Mit regelmäßigem Sport und maßvollem Essen sorgte er dafür, dass er in Form und schlank blieb.
Joachim nahm Unterwäsche, Sweatshirt und Jeans aus dem Schrank, zog sich an und verließ das Schlafzimmer. Er fand Carola in der Küche.
»Du kommst gerade richtig«, sagte sie und hielt ihm den Mund für einen Kuss hin. Er nahm das Angebot an.
»Frischer Kaffee. Möchtest du auch?«
Er nickte.
Sie nahm zwei Becher aus dem Schrank, schenkte Milch ein und füllte mit Kaffee auf.
»Danke«, murmelte Joachim, nahm einen Becher und setzte sich an den schmalen Tisch. Carola drückte sich ihm gegenüber auf die Arbeitsplatte hoch, trank einen Schluck und sagte: »Ich respektiere selbstverständlich Staatsgeheimnisse, sonst hätte ich es längst aufgemacht.«
Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er ihr nicht folgen konnte.
»Ich war so frei, die Kiste leerzuräumen, die wir vom Haus deiner Mutter mitgenommen haben. Finger weg und Top-Geheim steht auf einem Paket. Hattest du es auf dem Dachboden gefunden?«
»Ach, das ..., ja, auf dem Dachboden. Da stand eine Kiste, meine Mutter hatte alten Kram von mir reingepackt. Ich wusste nicht mal, dass es diese Kiste überhaupt gab.«
Carola zeigte neben die Spüle, wo das Päckchen lag.
»Und was ist da drin?«
»Keine Ahnung, ich weiß es nicht.«
»Wahrscheinlich Spionagegut aus der Zeit des Kalten Krieges, ganz brisantes Material.«
Joachim schmunzelte. Er stand auf, zog die Küchenschublade auf und holte eine Schere heraus. Dann nahm er das Päckchen, setzte er sich wieder und schnitt vorsichtig in die Plastiktüte.
»Es ist zusätzlich in Zeitung eingewickelt«, sagte er. »Von ... warte mal ... vom vierzehnten ... ber ... . Hmm, könnte von September bis Dezember alles sein, über dem Monat ist ein Klebestreifen. Das Jahr ist 1985.«
Er schüttelte das Päckchen vorsichtig. Es klapperte leicht.
»Nun mach endlich auf«, drängte Carola.
Joachim schnitt das Papier mit vielen kurzen Schnitten auf. Eine schmale Kiste aus unbehandeltem Holz kam zum Vorschein, etwa dreißig Zentimeter lang und zehn Zentimeter tief. Er öffnete sie vorsichtig.
»Was ist es?«, fragte Carola und machte einen langen Hals.
»Ich weiß es nicht, keine Ahnung«, antwortete er und blickte auf ein Wirrwarr aus Fäden, dünnen Stäben, sechs kleinen Holzfiguren und einer Holzkugel. Carola rutschte von der Arbeitsplatte und trat an den Tisch. Sie warf einen kurzen Blick auf das Durcheinander und griff dann nach der Holzkugel.
»Ein Mobile«, sagte sie verwundert. »Kann es sein, dass es ein Mobile ist?«
Joachim lehnte sich zurück. Angestrengt dachte er nach.
»Hattest du früher ein Mobile aus Holz über deinem Kinderbett hängen?«
Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf.
»Oh nein, das glaube ich einfach nicht …!«
»Was denn? Erzähl!«
»Die Geschichte hatte ich längst vergessen.«
Carola zog sich den zweiten Stuhl heran und setzte s ich. »Nun spann mich nicht länger auf die Folter.«
Joachim schmunzelte und sagte geheimnisvoll: »Tut mir leid, aber das darf ich n icht erzählen. Wirklich nicht!«
»Weshalb denn da s nicht?«
»Weil ich ein Versprechen brechen würde.«
»Ein Versprechen? Aus dem Jahre 1985?«
Er nickte.
»Das ist längst verjährt, es sind bald dreißig Jahre vergangen.«
Joachim wiegte den Kopf, tat so, als sei er schwer hin- und hergerissen. Schließlich sagte er: »Ich denke, du hast Recht. Ja, ich werde es dir wohl erzählen dürfen.«
»Na dann, schieß los!«, sagte Carola, schlug die Beine übereinander und sah ihn erwartungsvoll an.
*
»Joachim?«, rief seine Mutter energisch durchs Haus. »Joachim, hörst du? Michael ist da. Kommst du bitte runter?«
»Ja, komme gleich!«
Joachims Mutter wandte sich kurz Michael zu, der ein enges T-Shirt und Shorts trug. Seine Füße steckten in Socken und Sandalen.
»Wie geht es d er Mama?«, fragte sie und fuhr fort, die Herdplatten zu schrubben.
»Gut.«
»Dem Papa auch?«
»Ja.« Michael sah verstohlen zur Treppe und fragte sich, wo Joachim so lange blieb.
»Und deinem Bruder? Geht es Ulrich auch gut?«
»Ja.«
»Das höre ich gern«, sagte Joachims Mutter und warf einen letzten
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