Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer
nach all den Seminaren, die du geschwänzt hast. Aber das hier ist toll. Unanständig toll.«
Woraufhin Harry etwas erleichtert wirkt, aber merkwürdigerweise noch nicht ganz. Er sieht mich an.
»Was hältst du davon, Nonie?«
Das ist seltsam. Warum kümmert ihn, was ich denke? Ich bin doch bloß seine kleine Schwester. Dann dämmert es mir. Er fragt nicht nach meiner Meinung zu den Videos. Er fragt nach meiner Meinung zu Isabelle. Er weiß, wie sehr ich Svetlana mochte. Aber an seinem Ausdruck in den Augen sehe ich, dass diese neue Sache mit Isabelle etwas Ernstes sein könnte.
Wie macht er das bloß? Von einem Supermodel zum nächsten, noch traumhafteren Supermodel zu stolpern. Wie kommt’s, dass er die ganzen sexy Gene abbekommen hat, und meine Gene reichen gerade mal für Betrüger und schlechte Küsser? Und er ist groß und ich klein. Das Leben ist so unfair.
»Ich finde sie super«, sage ich, was Code ist für: »Ich verzeihe dir wegen Svetlana.«
Jetzt sieht er richtig erleichtert aus.
Endlich sind Sommerferien. Mit Harrys Erlaubnis stellt Edie alle drei Videos auf ihre Website. Natürlich stürzt die Site gleich wieder ab. Ich fange an mich zu fragen, ob Edie wirklich so ein technisches Genie ist, wie ich dachte. In den Mittelstufenprüfungen bekommt sie trotzdem durch die Bank weg Bestnoten. Und ich bekomme auch zwei Einsen – in Französisch und in Textiles Gestalten. Juchhu! Immerhin kann ich damit mein Erdkundeergebnis ausgleichen. Oje.
Edies Website wird zum wichtigsten Blog für alle, die wissen wollen, wie sie ihre Garderobe auf den neuesten Stand bringen können, ohne den Planeten zu zerstören oder Kinder zu zwingen sechzehn Stunden am Tag zu arbeiten. Es gibt jede Menge Tipps, von Secondhandläden zur Heilsarmee, Tauschpartys, Strickklubs, Schnittmustern und Fair-Trade-Marken. Mit der Zeit entwickeln sich immer mehr Ideen und Edies Leser schicken außerdem ihre eigenen Vorschläge ein. Doch auf ihrer Site gibt es nicht nur Schürzen und Bommelmützen. Im Gegenteil. Neben den Isabelle-Videos zeigt sie auch Krähes Partykleider (von denen wir wissen , dass sie fair produziert werden, weil wir zusehen, wie Krähe sie macht) und jede Menge neueste Trends aus den Modekaufhäusern.
Außerdem hat Edie eine neue Rubrik eingerichtet, die sehr beliebt ist. Die Kinder einer der vom Hilfswerk geleiteten Schulen in Mumbai bloggen abwechselnd aus ihrem Leben. Edie bezahlt die Gebühren eines örtlichen Internetcafés und einer der Leute vom Hilfswerk tippt in den Computer, was die Kinder ihm erzählen. Es ist eine bunte Mischung. Manchmal geht es um Kricket. Manchmal geht es um die Suche nach einem Job. Manchmal erzählen sie, was sie an dem Tag in der Schule gelernt haben. Manchmal ist es eine Liste von Fragen an uns alle: Wie ist London? Stimmt es, dass alle Amerikaner Millionäre sind? Gibt es in Afrika mehr Elefanten als in Indien?
Edie muss nicht alles alleine beantworten. Aus der ganzen Welt fluten Kommentare herein, die Auskunft geben wollen. Ich stelle mir Lakshmi am Rande einer Gruppe von Kindern vor, die sich um den Computer drängen und zuhören, wenn die Antworten vorgelesen werden. Ich bin mir sicher, dass ihr Gesicht vor Aufregung leuchtet.
Manchmal erzählt sie mir davon. Jeden Sonntag um die Frühstückszeit chatten wir, mit der freundlichen Hilfe von Mrs Patil und Suraj, der für sie am heimischen Computer tippt. Lakshmi nennt mich »Tante Nonie«. Meistens fragt sie nicht nach Millionären oder Elefanten. Meistens erkundigt sie sich nach der Kollektion, und wie sich die Muster anlassen, und woran Krähe gerade arbeitet. Ich frage sie, wie es in der Schule läuft und in ihrem Job – sie verkauft Bücher an vorbeifahrende Autofahrer (ganz normal) –, und zur Antwort erhalte ich das übliche kurze »gut«, das ich von jedem achtjährigen Kind bekäme, und das macht mich froh.
Lakshmi lernt lesen und ist erstaunlich gut im Kopfrechnen. Ich glaube, Suraj gibt ihr sonntags Nachhilfe. Sie geht nicht so wahnsinnig gern in die Schule, aber sie freut sich riesig über die Zeit, die sie hat, um mit ihrer Puppensammlung zu spielen. Sie hat vier Puppen, genau wie Krähes Schwester Victoria in Uganda, und Krähe und ich – und ein paar von Krähes Designer-Freunden – haben angefangen Puppenkleider für sie zu nähen und richtige Fashionista-Garderoben zusammenzustellen. Es entwickelt sich beinahe zur Sucht. Auch darüber berichtet Edie in ihrem Blog.
In den Sommerferien haben wir auch
Weitere Kostenlose Bücher