Modesty Blaise 04: Ein Gorilla für die Lady
grauen Strähnen durchzogen.
Willie Garvin hatte guten Grund, zu glauben, daß er und Modesty Blaise für diese Veränderung verantwortlich waren. Wer einem Mann gestohlene Diamanten im Wert von zehn Millionen Pfund abjagte und ihn selbst um ein Haar getötet hätte, konnte mit einiger Sicherheit annehmen, daß er ihm ein paar graue Strähnen verschaffte, besonders dann, wenn dieser Mann Gabriel war, der zuvor nie einen Fehlschlag erlebt hatte.
Gabriel. Und McWhirter.
Fünf Sekunden waren vergangen, seit Willie das Glas an die Augen gehoben hatte. Jetzt setzte er es ab und wich zurück, bis eine Bodenwelle die Yacht aus der Sicht nahm. Jetzt wußte er, daß hinter dem Mord und der Entführung eine große Sache steckte. Er begann nicht zu spekulieren, was es wohl sein mochte. Das konnte später geschehen, wenn Modesty Blaise es so entschied. Für den Augenblick war Willie Garvins Vorhaben völlig klar, einfach und begrenzt. Er würde die beiden Männer, die er am Strand gesehen hatte, töten.
Auf einem natürlichen Pfad bewegte er sich nach Norden zu dem oberen Rand des Abhangs, an dem die Killer jetzt emporsteigen mußten. Es gab keine solide Deckung für ihn, nur einen hohen, dürren Baum, der etwa zwanzig Schritt von dem Punkt entfernt stand, wo die Männer den Kamm erreichen würden. Die Sonne stand jetzt tief am Himmel, und der dünne Stamm warf einen langen Schatten schräg über den Pfad. Willie stand mit dem Rücken gegen den Baum, zog das Bowiemesser aus der Scheide und wartete.
In diesem Warten lag nichts Lauerndes. Sein Geist war leer und ebenso reglos wie sein Körper. Bis auf den starren Brennpunkt seiner Augen war er überhaupt nicht vorhanden. Er war der Baum, der Erdboden, die Luft ringsum.
Dies war einer der Grundzüge des
ninjutsu
, der Kunst, sich in voller Sicht zu befinden und dennoch den Blick des Beobachters nicht auf sich zu ziehen. Es wurde berichtet, daß die großen
ninja
-Anhänger früherer Zeiten imstande gewesen waren, unbemerkt durch eine Menschenmenge zu schreiten. Willie Garvin war bereit, sich schon damit zufrieden zu geben, wenn er von den Killern unbemerkt blieb, bis sie zehn Schritt zurückgelegt hatten. Soviel Vorgabe brauchte er. Wenn einer der beiden einen Schuß abfeuern konnte, würde man es auf der Yacht hören und …
Am oberen Rand des Abhangs kam ein Mann in Sicht. Es war derjenige, der das blinde Mädchen festgehalten hatte. Er keuchte leise, und sein Gesicht war feucht. Der zweite in weißem Hemd und schwarzer Hose folgte ein paar Schritte entfernt. Er war von kräftigerer Statur und bewegte sich leicht gebückt unter der Last des Mädchens, das über seinen Schultern lag. Jetzt blieb er stehen. «Lös mich mal ab, Eddie», sagte er mit tiefer, schnaufender Stimme.
Abwesend und unbeteiligt sah Willie Garvin zu, wie der andere das Mädchen übernahm. Beide Männer trugen dieselbe Waffe – ein George-Lawrence-Schulterhalfter mit Federclip, das eine 38er Special Bodyguard, einen hahnlosen Fünf-Schuß-Revolver, hielt.
Der größere der beiden Männer übernahm die Führung, indem er auf der sandigen Steigung schwerfällig vorantrottete. Zweimal war sein Blick über Willie Garvin hinweggeglitten, ohne sich auf ihn zu konzentrieren. Er war acht Schritte entfernt, als er in schlagartigem Erkennen stocksteif stehenblieb, während eine Hand an die Waffe hochfuhr.
Willie Garvins Handgelenk erzitterte in einem harten Vorderarm-Wurf, dann stürzte er dem schweren Messer nach. Die elf Zoll lange Klinge war genau unter dem Brustbein eingedrungen und hatte im Verlauf der Wurflinie aufwärtsstoßend das Herz getroffen. Der Mann starb, während seine Hand die Waffe aus dem Federclip des Lawrence-Halfters riß. Es war ein rascherer Tod, als ihn das Mädchen am Strand gestorben war.
Willie Garvin übersprang den zusammensinkenden Körper, als nähme er eine Hürde. Dem zweiten Mann mußte es vorgekommen sein, als wäre diese braune, halbnackte Gestalt mit den eiskalten Augen vom Himmel gefallen. Ein langer Arm schoß vor; ein Finger und ein Daumen schlossen sich wie Eisenklammern um das Fleisch seiner Oberlippe direkt unter der Nase, und ein unterdrückter Schmerzenslaut entfuhr dem Mann, während er vorwärtsgezerrt wurde.
Da er mit dem Gesicht voran zu Boden stürzte, fing sein Körper den Sturz des Mädchens ab. Und weil er mit dem Gesicht voran fiel, wurde seine Pistolenhand, die gerade nach dem Knauf griff, von seinem eigenen Gewicht an den Boden gepreßt.
Willie
Weitere Kostenlose Bücher