Modesty Blaise 04: Ein Gorilla für die Lady
Mädchen. Nur ruhig und langsam.»
Willie sprach sehr behutsam und ließ eine Hand auf ihrer Schulter ruhen.
Sie erstarrte. Ihre blicklosen Augen waren wieder geöffnet und schienen ihn direkt anzustarren. Er sah, wie sich ihre Nasenflügel einen Augenblick lang weiteten, und hörte sie hastig einatmen.
«Sie sind jetzt in Sicherheit», sagte Willie. «Ich bin keiner von den beiden Ganoven, die Sie am Strand gepackt haben.»
«Ich weiß.» Ihre Stimme klang heiser und sehr leise, aber er konnte den amerikanischen Akzent heraushören. «Ich weiß. Sie riechen anders.»
«Das freut mich», erwiderte Willie Garvin gelassen.
Ihr Kopf wandte sich leicht zur Seite. «Es ist noch jemand im Boot.»
Willie schaute zu den dunklen Umrissen Lucos hinüber, der im Heck saß. «Ja, es ist Luco. Aber Sie brauchen sich seinetwegen nicht zu beunruhigen. Sie sind jetzt in Sicherheit, Mädchen. Ehrlich.»
«Bitte, ich – ich muß mich übergeben.»
Er hob sie mit der Decke vom Boden und hielt sie halb über seinem Schoß, während ihr Kopf über die Bordwand hing, bis die würgenden Krämpfe vorüber waren. Danach nahm er sie hoch, so daß sie ihren Kopf gegen seine Schulter legen konnte, während er mit einem im Meerwasser angefeuchteten Taschentuch ihr Gesicht abwischte.
«Tut mir leid», keuchte sie schaudernd.
«Machen Sie sich nichts daraus. Das kommt nur von dem Betäubungsmittel, das man Ihnen eingespritzt hat.»
Ihr Atem wurde allmählich ruhiger, und er konnte beinahe sehen, wie ihre Gedanken zurückwanderten.
Unvermittelt erstarrte sie in seinen Armen.
«Judy?» fragte sie.
Einer ihrer bloßen Arme befand sich jetzt außerhalb der Decke.
Willie ergriff die Hand und hielt sie fest. «Sie meinen das Mädchen, mit dem Sie zusammen waren?»
«Ja. Sie ist meine Schwester. Wo ist sie? Bitte –»
Von Angst gepeinigt brach ihre Stimme ab.
«Da kann ich Ihnen nichts Erfreuliches sagen. Versuchen Sie, es tapfer zu ertragen», erwiderte Willie. «Ich bin zu spät gekommen. Sie ist … nun ja, sie ist tot.»
Ihr Gesicht zog sich zusammen und wurde starr.
Nach einer Weile sah er Tränen unter den festgeschlossenen Lidern hervorquellen. Schließlich fragte sie mit einer von Schmerz und Zorn erschütterten Stimme:
«Haben die sie umgebracht?»
«Ja. Ich habe es durch das Fernglas mitangesehen. War zu weit weg, um etwas zu unternehmen.»
«Sagen Sie mir alles.»
«Sie dürfen sich die Sache nicht noch schlimmer machen, Mädchen.»
«Reden Sie.»
Ruhig berichtete er ihr, was er am Strand beobachtet hatte. Als er fertig war, drehte sie ihr Gesicht gegen seine Schulter. Zehn Minuten lang, in denen sie ihren einsamen Kampf ausfocht, herrschte Schweigen, bis auf das Knarren der Streben und das ständige Plätschern des Wassers gegen den Bootsrumpf.
Als sie das Gesicht wieder hob, war es von Haß verfinstert. Ihre Stimme war ein erbitterter Aufschrei.
«Warum Judy? Das ist doch Wahnsinn! Sie war ein Mensch, der niemand etwas zuleide tat. O Gott, warum nur?»
«Ich weiß es nicht, Mädchen. Und warum nicht Sie? Ich finde, wir sollten später, wenn Sie sich dazu imstande fühlen, darüber sprechen.»
Sie schien ihn gar nicht zu hören. Nach einer Weile sagte sie mit unterdrückter Stimme, während sie blicklos zum Himmel aufschaute: «Das Gesetz wird sie nicht zur Rechenschaft ziehen. Nicht hier. Ich möchte sie umbringen. Ja, das täte ich lieber als alles andere in der Welt – sie umbringen.»
«Das ist schon geschehen», erklärte Willie.
Ihr Kopf fuhr heftig herum. «Sie?»
Er nickte, dachte dann daran, daß sie blind war, und sagte: «Ja.»
«Aber sie hatten doch Waffen bei sich. Ich fühlte eine bei dem Mann, der mich einfing.»
«Ich weiß. Aber sie bekamen keine Chance, ihre Waffen einzusetzen.»
Zum erstenmal sagte Luco etwas: «Der Americano hat ein Messer.»
«Americano?»
«Luco kennt da keinen Unterschied, Mädchen.»
«Wie spielte sich das ab? Erzählen Sie.»
Er zögerte, kam dann aber zu der Überzeugung, daß sie keinen Protest erheben würde, und erzählte ihr in kurzen Worten, was sich auf dem Kamm des Bergrückens ereignet hatte. Als er fertig war, zog sie ihre Finger aus seiner Hand und betastete seinen Unterarm, ließ dann ihre Hand rasch und mit geübter Feinfühligkeit seinen Arm hinauf bis zur Schulter und über seinen Brustkorb gleiten.
Ein leises Nicken. Dann sagte sie leicht verwundert:
«Hatten Sie denn vor, die beiden zu töten?»
«Es ist, wie Sie sagten: Kein Gesetz zieht
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