Modesty Blaise 08: Heiße Nächte für die Lady
steckte die Uhr wieder in die Tasche, zog den Reißverschluß zu, drehte sich abrupt um und verließ das Zimmer. Es war Zeit, seinem Herrn die Neuigkeit mitzuteilen. Aber nicht die ganze.
Paxero wurde wieder einmal von einem seiner bösen Träume gequält. Er war zwar kein kleiner Junge mehr wie damals, aber Tante Benita, die neben ihm im Gebüsch kauerte, war wieder jung. Sie hielt ihm den Mund zu, damit er nicht vor Schreck losbrüllte, als er sah, was die Männer in den schäbigen Uniformen, die auf Pferden gekommen waren, für merkwürdige und schreckliche Dinge mit den Frauen taten, ihnen die Kleider herunterrissen und sich mit zuckenden Bewegungen auf sie legten. Sein Vater, seine Onkel und seine Brüder waren schon tot. Die Männer auf den Pferden hatten sich einen Spaß daraus gemacht, sie zu jagen, niederzureiten und mit den langen Säbeln auf sie einzuhauen.
Er wußte, weil er den Traum schon kannte, daß am Ende drei junge Mädchen mitgenommen und die übrigen umgebracht werden würden. Und dann, wenn alles vorüber war, würde Tante Benita den Rosenkranz, den ihre Hand umklammerte, voller Verachtung anschauen und wegschleudern, sich das schlichte Kreuz vom Halse reißen und auf dem Boden zerstampfen; wortlos, ohne zu weinen, das knochige Gesicht zu einer eisernen Maske erstarrt.
Der Traum entsprach nicht genau den wirklichen Ereignissen von damals, denn nun schienen die getöteten Männer wieder zu leben. Aber sie waren bis zu den Köpfen eingegraben, und die Reiter machten sich daran, die Pferde darübertrampeln zu lassen. Diese Szene entstammte nicht Paxeros eigenen Erinnerungen, sondern kam von Tante Benita, die sie in ihrer Kindheit erlebt und ihm die Geschichte so oft erzählt hatte, daß sie zu einem Teil seiner Selbst geworden war.
Als Damion ihn an der Schulter berührte, war er sofort munter und setzte sich auf. Zugleich verschwanden die Ängste und Haßgefühle des Traums. Er träumte längst nicht mehr so oft von der Geschichte wie früher, und außerdem hatte er seit langem gelernt, die Nachwirkungen des Traums in Sekundenschnelle abzuschütteln. Damion war zum Fenster gegangen und hatte die Jalousien hochgezogen. Helles Sonnenlicht flutete in das große, elegant eingerichtete Schlafzimmer. «Guten Morgen, Pax», begrüßte Damion seinen Herrn, «möchtest du hier frühstücken oder soll ich dem Mädchen sagen, daß sie auf der Terrasse deckt?»
Paxero gähnte. «Später. Ich möchte erst schwimmen.» Er stand auf und zog einen weißen Morgenmantel aus indischer Seide an. Er war ein paar Zentimeter kleiner als Damion, untersetzter, aber keineswegs fett.
Sein Gesicht war kantig, die Kinnbacken, obwohl frisch rasiert, schimmerten dunkel, und das Haar war dicht und glatt. Leicht amüsiert ging er zum Kühlschrank, um sich einen Orangensaft einzuschenken. Damion, das wußte er, war schon geschwommen, hatte geduscht und sich rasiert, angekleidet und gefrühstückt, alles vor einer Stunde. Nun stand er in seinem schmucken Wildlederanzug vor ihm, mit jener lässigen Überlegenheit des Frühaufstehers gegenüber dem Mann im Morgenrock, der gerade aus dem Bett gekrochen kam. Paxero machte sich nichts daraus, fühlte sich keineswegs unterlegen. Ihre morgendlichen Gepflogenheiten waren eben verschieden, das war alles. Bezüglich der abendlichen Vergnügungen hingegen war ihr Geschmack bemerkenswert ähnlich.
Damion sagte: «Ich fürchte, es gibt schlechte Nachrichten.» Er winkte mit dem dechiffrierten Telegramm.
«Martinez meldet, daß Dall und die Frau entwischt sind.» Er lächelte. «Ich hatte doch gesagt, daß du es mir überlassen solltest.»
Paxero goß erst den Saft ein, sein Gesicht blieb ausdruckslos. Dann fragte er: «Keine Möglichkeit für die Polizei, etwas rauszufinden?»
Damion schüttelte den Kopf. «Nein. Keine. Alle Verbindungen unterbrochen.»
«Was ist geschehen?»
«Er hatte zwei Spezialisten angesetzt, Burschen vom Lande, sie werden die Hillibillies genannt. Jason flog den Hubschrauber. Er machte Dall und die Frau aus und setzte die beiden Kerle in der Nähe ab. Sie näherten sich von oben her durch den Wald, um die Gefangennahme durchzuführen. Eine Weile später hörte Jason zwei Schüsse. Er wartete. Es geschah nichts. Er schloß daraus, daß etwas schiefgegangen war und machte, daß er fortkam. Martinez flog mit ihm am nächsten Tag noch einmal hin und suchte nach den beiden Männern. Sie waren tot.»
«Ist Dall zur Polizei gegangen?»
«Nicht daß wir
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