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Mönchsgesang

Mönchsgesang

Titel: Mönchsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Krieger
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P ROLOG
    Oktober 1347
    N ur mühsam durchdrangen die Strahlen der aufgehenden Sonne den morgendlichen Nebeldunst, zwängten sich durch die Wipfel der kahl werdenden Bäume. Der herbe Duft von Herbst und faulem Laub erfüllte die Luft, und es war nicht das geringste Windchen auszumachen, das etwas Zirkulation in diese riesige Küche aus Tau und Nebel gebracht hätte. Irgendwo begannen ein paar Krähen lautstark zu zetern, als hielte der Teufel selbst sie in seinen grausigen Krallen gefangen.
    Der Kaiser zügelte sein Pferd und horchte auf. Auch seine beiden Hunde spitzten die Ohren, blickten ihren Herrn erwartungsvoll an. Der verharrte eine Weile reglos in seinem Sattel und stierte in die schemenhaften Umrisse des Waldes.
    »Krähen, die sich um ein Stück Aas balgen«, bemerkte er nach einer Weile und sah zu seinen Hunden hinab. »Kein Bär!« Es klang fast wie eine Entschuldigung. »Noch nicht«, fügte er hinzu, bevor er sein Pferd weitertraben ließ.
    Der Mann im Sattel hatte bereits mehr als sechs Lebensjahrzehnte hinter sich gebracht, und obwohl seine Statur auch die eines Dreißigjährigen hätte sein können, so sah man seinem durchaus edlen Gesicht die Last eines langen Lebens an. Die Last eines Lebens, an dessen Horizont die Wolken sich immer mehr verdüsterten. Die Last eines Lebens voller Konflikte, Auseinandersetzungen und Kämpfe. Wie oft schon hatte er seine Macht verflucht und wie oft schon hatte er sie wieder lieben gelernt. Und seine Gegner – er hatte sie fast alle überlebt. Große Fürsten und kleine, Bischöfe, Kardinäle und Päpste – ein Leben lang hatte er ihnen getrotzt, er, der ›gewaltige Adler‹, der Kaiser der Deutschen. Immer wieder hatte er Siege davongetragen, so dass sich mancher zeitgenössische Träumer in die Tage der glorreichen Salier und Staufer zurückversetzt fühlte. Doch es war wie beim Haupt der Hydra: Schlug man einen ihrer Köpfe ab, so entwuchsen dem riesigem Leib sogleich ein paar neue. Manchmal verglich der Kaiser sich mit Sisyphos, jener griechischen Sagengestalt, die für ihre Verschlagenheit gegenüber den Göttern im Hades einen Felsblock auf einen Fels rollen muss, der kurz vor dem Gipfel jedoch immer wieder herunterrollt. Und was die Hydra betraf: Ihr war in der Gestalt des jungen Böhmen Karl ein mächtiger Kopf entwachsen, so mächtig wie selten ein Kopf zuvor. Im vergangenen Jahr hatten ein paar deutsche Fürsten – welch ein Sakrileg! – ihn zum König erkoren. Die Welt befand sich im Zwiespalt, die mühsam errichtete Ordnung in Auflösung. Ein blutiger Krieg stand unmittelbar bevor, und es mehrten sich die Stimmen, die das unmittelbare Ende der Welt ankündigten.
    Der Kaiser sog die milde Luft in seine Lungen und unterdrückte ein Seufzen. Noch am gestrigen Abend, während des Banketts, war ihm der Gedanke der Abdankung durch den Kopf geschwirrt, hatte sich der Wunsch nach Frieden und Anonymität seiner Seele bemächtigt. Gräfin Agnes, die Witwe seines langjährigen Weggefährten Berthold, hatte ihn auf seinem Münchner Hof besucht. Und wie immer, wenn er Agnes in seiner Nähe wusste, die trotz harter Schicksalsschläge nur wenig von ihrer Fröhlichkeit eingebüßt hatte, beseelte ihn dieses herrliche Gefühl der Leichtigkeit, dieser brennende Wunsch, nicht mehr kämpfen zu müssen. Diese selig machende Müdigkeit war wie ein Rausch. Doch wie jeder Rausch pflegte auch dieser stets zu vergehen …
    So auch gestern Abend. Nach dem Mahl hatte den Kaiser plötzlich ein heftiges Unwohlsein befallen. Schweren Herzens hatte er sich deshalb frühzeitig von der Gräfin verabschiedet und sich in seine Gemächer zurückgezogen, wo ihn sein Medicus aufsuchte und ihm ein Brechmittel verordnete. Die halbe Nacht hatte der Kaiser über einem bereitgestellten Bottich verbracht; irgendwann hatte ihn endlich eine tiefe Müdigkeit heimgesucht. Erschöpft und ausgelaugt war er eingeschlafen.
    Noch vor Sonnenaufgang war er wieder aufgewacht. Verwundert, aber beglückt stellte er fest, dass jegliches Unwohlsein in seinem Leib sich verflüchtigt hatte, ja dass sogar eine seit Jahren nicht mehr erlebte Vitalität durch seine Adern pulsierte. Wie weggeblasen waren mit einem Male seine fatalistischen Gedanken, wie ausradiert sein Gefühl der Resignation. Er berauschte sich an dieser wunderbaren Tatkraft. Noch einmal würde der ›gewaltige Adler‹ seine Flügel schwingen und seine Feinde erbeben lassen. Krieg? Wenn Karl einen Krieg wollte, so sollte er ihn haben. Er, der

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