Moerder Im Gespensterwald
Stütze gedient hatte. Was immer er vorhatte, er kam vorerst nicht dazu, weil sein Handy anschlug. Offenbar führte er ein höchst unangenehmes Telefonat. Die Falten auf seiner Stirn wurden zu regelrechten Gräben, und an seinem Hals bildeten sich rötliche Flecken. Er erteilte ein paar Befehle, dann steckte er das Telefon wieder ein, rückte an seiner Krawatte und ging auf seine beiden Untergebenen zu.
»Was für ein Tag!«, stöhnte er. »Der geht bestimmt in die ungeschriebene Geschichte unserer Abteilung ein.«
»Noch mehr Leichen?«, wollte Barbara wissen, dann öffnete sie ihre Umhängetasche und entnahm ihr eine Packung Papiertaschentücher.
»Ich will es nicht hoffen. In Nienhagen wird eine Siebenjährige vermisst. Das Mädchen hat das Elternhaus vor mehr als vier Stunden mit dem Fahrrad verlassen und sollte längst zurück sein.«
»Sie wird die Zeit vergessen haben.« Barbara trocknete sich Gesicht, Hals und Nacken. Obwohl sich das Nienhäger Holz in Meernähe befand, war auch hier die Luft schwül.
Der Mann ohne Eigenschaften warf einen raschen Blick auf die beiden Opfer: »Hoffen wir es. Aber ihr könnt euch vorstellen, was in der Führungsetage des PP los ist. Vier Tote zum Auftakt der Sail und nun noch ein Mädchen abgängig, das in der Nähe wohnt, da schrillen sämtliche Alarmglocken. Der Polizeipräsident hat entschieden, das nach der Kleinen gefahndet wird.«
»Aber das machen doch nicht wir!«
»Wie heißt sie denn?«, wollte Uplegger wissen.
Wendel seufzte: »Karina Dünnfelder.«
»Wie der dubiose Baulöwe?«
»Sie ist seine Tochter.«
***
Uplegger hatte genug. Insbesondere der Anblick des Jungen, der ungefähr so alt war wie sein Sohn, nahm ihn weit mehr mit, als ihm lieb war. Bevor die Riedbiester ihm das ansehen und etwas von mangelnder professioneller Distanz ätzen konnte, erbot er sich, die Auffindungszeugen zu vernehmen und kehrte zur Waldstraße zurück.
Die beiden Männer vom Dauerdienst hatten die vier Zeugen nur kurz befragt und sie dann gebeten, in den Streifenwagen zu warten. Krüger klappte seinen Notizblock auf: »Viktor Kranz und Dominic Brauer, beide vom Institut für Waldökologie und Waldinventuren in Eberswalde. Günter Wagenbach vom Forstamt Doberan, seines Zeichens Forstrat …«
»Und ein Herr Wichtig«, fiel Helmich ein.
»Der Vierte im Bunde ist ein gewöhnlicher Waldarbeiter. Ole Pagels, 24 und …«
Helmich unterbrach abermals: »Er wird die ganze Arbeit machen und die anderen leiten ihn an. In der DDR war das ja schon so, und wir haben sie deshalb Absurdistan genannt. Jetzt ist es noch viel schlimmer.«
»Was Du alles weißt.« Krüger verdrehte die Augen. »Pagels kennen wir übrigens.«
»Persönlich?«
»Das nicht, aber wir haben ihn im System. Gehört zur KMH, der Kameradschaft Mecklenburger Heimatschutz. Motto: National im Herzen, sozialistisch im Geist, revolutionär im Handeln! Bei einer angeblich spontanen Anti-Kinderschänder-Demo in Malchow hat er Kollegen beleidigt und eine Anzeige kassiert.«
»Spontane Anti-Kinderschänder-Demo!« Uplegger schüttelte den Kopf.
»Na, wenn da man nicht der alte Spruch gilt: Die größten Kritiker der Elche sind in der Regel selber welche«, sagte Helmich und grinste.
Der dritte Leichnam war eine Frau, die auf der Flucht vor ihrem Mörder fünf oder sechs Meter vom Waldpfad ins Buschwerk gelaufen und dort anscheinend über eine Wurzel gestolpert war. Auf dem Weg zu ihr bemerkte Barbara einen einsamen weißen Turnschuh, gekennzeichnet als Spur 44. Auf dem Leder befanden sich ein paar Blutstropfen. Unweit des Schuhs hantierten zwei Trassologen mit dem Messrad.
Barbara nahm die Tote nur aus der Ferne in Augenschein, um keine Spuren zu zerstören. Da die Frau auf dem Bauch lag, konnte man das Gesicht nicht sehen. Ihr gelocktes Haar war kastanienbraun, die Frisur war in Unordnung geraten und durch einen Festiger namens Blut in den Formen erstarrt. Sie trug schwarze Shorts, die lange, vermutlich rasierte Beine entblößten, schöne Beine, wie Barbara fand. Die eng anliegende rosafarbene Bluse war blutgetränkt.
Barbara ging mit einem beklommenen Gefühl hinter dem Brustbein weiter und wurde von Manfred Pentzien in Empfang genommen, der ihr Leichnam Nr. 4 präsentierte. Obwohl sie sich für hartgesotten hielt, verschlug es ihr den Atem.
Am Rand des Wäldchens gab es einen kleinen Teich, eher einen Tümpel, der trotz der Hitze mit Wasser gefüllt war, was Barbara auf die Wärmegewitter der letzten Tage
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