Moerder Im Gespensterwald
zurückführte. Das Wasser stand vielleicht 80 Zentimeter tief und war klar genug, um auf dem Grund ein Fahrrad mit rotem Rahmen erkennen zu lassen. Am Ufer lag in verkrümmter Haltung ein Junge, sieben, acht oder vielleicht neun Jahre alt; es fiel Barbara schwer, das Alter von Kindern zu schätzen. Sie erkannte eine olivgrüne Cargohose und schwarze Converse -Turnschuhe, ein meerblaues T-Shirt, wie es auch der ältere Junge anhatte, klebte nass an dem schmächtigen Körper. Sein Kopf befand sich unter der Oberfläche, langes blondes Haar schwebte im Wasser – wie bei Ophelia.
»Ertränkt?«
»Das ist noch nicht geklärt. Aber geschlagen wurde er auch.«
Barbara ließ ihren Blick schweifen und schaute über den Waldrand hinaus auf einen brachliegenden Acker. Linker Hand waren drei Windräder zu sehen, deren Rotorblätter stillstanden, und jenseits des Feldes erstreckte sich eine Reihe von Bäumen. Während der Himmel über ihnen noch blau war, zeigten sich westlich davon dunkle Wolken.
»Alles spricht dafür, dass es sich um Schweden handelt«, nahm Pentzien das Gespräch wieder auf.
»Wie kommst du darauf?«
»Ad eins: die Kleidung. Die Frau trägt eine Bluse von Filippa K und Shorts von Hennes & Mauritz , beides schwedische Marken. Die Jeans des Mannes ist eine gewöhnliche Levi’s 501 , aber die Lederjacke! Die stammt von SAKI , ebenfalls ein schwedisches Modelabel. Nun könnten sie ausgemachte Skandinavienfans gewesen sein und die Klamotten in Deutschland gekauft haben, in einem speziellen Geschäft oder per Internet. Oder sie kommen gerade aus dem Schwedenurlaub. Doch ad zwei: In der Gesäßtasche der Frau haben wir ein kleines Portmonee gefunden. Es enthielt neben einem Zwanzig-Euro-Schein und etwas Kleingeld auch ein paar Kronen und Öre. Und dann sind da noch eine Bank-und eine Kreditkarte der Svenska Handelsbanken , ausgegeben für Agneta Wetterstrom. Genügt dir das?«
Barbara sparte sich einen Kommentar zu Hennes & Mauritz und schaute noch einmal zu dem leblosen Kind. »Eine schwedische Familie wird während ihrer Ferien in Mecklenburg ausgelöscht – das wird Schlagzeilen machen.«
»Darauf kannst du Gift nehmen! Zumal dieses Jahr das Sommerloch besonders groß ist, denn es gibt weder Schweine-, noch Vogel-, noch Gurkengrippe …« Pentzien machte ein besorgtes Gesicht. »Wir werden mächtigen Druck aushalten müssen.« Er berührte Barbaras Arm. »Komm, ich habe dir noch etwas zu zeigen.«
»Etwas Schlimmes?«
»Noch schlimmer? Nein, keine Sorge. Nennen wir es lieber interessant.«
Forstrat Wagenbach entsprach nicht den Vorstellungen, die sich Uplegger gemacht hatte. Er hatte erwartet, es mit jemandem zu tun zu bekommen, der die Ruhe selbst war, einem Menschen mit der Gelassenheit und Weisheit von Buche, Birke, Eiche und Kiefer. Diese Baumarten waren ihm im Gehölz aufgefallen.
Wagenbach aber wirkte gereizt und nervös, als fürchtete er, seine Bäume könnten sich plötzlich auf den Weg machen, weil sie nicht gezählt werden wollten, vor allem nicht von einem Nazi-Waldarbeiter. Ole Pagels sah nun auch noch aus, als ob ihn ein Karikaturist gezeichnet hätte: kräftige Statur, engstehende Augen, eine niedrige, so gar nicht arische Stirn und Tätowierungen auf den Armen, am Hals und im Nacken. Unverfänglich waren zwei bunte Seejungfrauen und das Wikingerkreuz auf dem linken Unterarm, während der Totenkopf mit gekreuzten Knochen, die Faust mit Fahne sowie die Runen, in denen man ein Doppel-S vermuten konnte, arg nach einem Verstoß gegen § 86a StGB aussahen. Den beiden Männern vom Institut für Waldökologie und Waldinventuren schien die Nähe dieser menschlichen Leinwand unangenehm zu sein. Jedenfalls hielten sie ebenso wie Wagenbach demonstrativ Abstand.
Der Forstrat schlug vor, sich in den Bauwagen zu setzen, wo die Baumzähler ihre Schreibarbeiten erledigten. Seit einer Woche, erzählte er mit drohendem Unterton, sei man nun im Nienhäger Holz, und während dieser Zeit sei das Vorhängeschloss an der Tür drei Mal aufgebrochen worden. Einmal hätten sich die Diebe wohl nur umgesehen, beim zweiten Mal hatten sie den Tisch gestohlen und für Unordnung gesorgt, beim dritten Einbruch die Stühle zerschlagen – und die Polizei mache nichts.
Jetzt aber ergriff die Gescholtene die Initiative: Uplegger beorderte zwei Kollegen der Schutzpolizei herbei, die den Wagen bewachen sollten, bis er von der Spusi examiniert worden wäre. Da dieser nun nicht mehr für das Verhör zur Verfügung
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