Moerder Im Gespensterwald
Prolog: Hitzestau
Gottes spitzer Finger hatte Rostock nach Süden verschoben, in die feuchtheiße Klimazone. Da seine Wege unerforschlich waren, gab diese Tat den Menschen Rätsel auf. Nur Barbara Riedbiester kannte den Grund: Wie sie hatte Gott die Cocktailrezepte in der Sommerbeilage der Ostsee-Zeitung entdeckt. Enttäuscht vom Menschen, der Krone seiner Schöpfung, die bereits kurz nach der Produktion aus dem Ruder gelaufen war, hatte er sich schmollend in die Tiefen des Universums zurückgezogen, mixte sich nun von morgens bis abends Drinks und spielte mit dem Globus. Demnächst würde er die Erdachse umdrehen, den Golfstrom versiegen und alle Vulkane ausbrechen lassen. Gott war ein Misanthrop und deshalb war er Barbara so sympathisch. Für alle gutgemeinten Werke strafte sie ihn jedoch, indem sie nicht an ihn glaubte.
Sie lag auf der Couch im Wohnzimmer, und auf ihr lag Bruno. Den breiten Katerkopf hatte er ihr an den Hals gepresst, die Pfoten ruhten auf ihrer Schulter, sein schwerer Leib quetschte ihre Brüste. Er schnurrte leise und wärmte sie – ausgerechnet an einem Tag wie diesem.
Auf dem Tisch stand ein Daiquiri, nach einem Rezept aus der Zeitung gemischt. Barbara hatte sich gedacht, dass ein Getränk, das Kubaner erfrischte, auch im subtropischen Rostock von Nutzen sein könnte. Sie hatte lediglich den empfohlenen Rumgehalt erhöht und dafür etwas weniger zerstoßenes Eis zugefügt. Und sie hatte die Zutaten gerührt, weil sie gar keinen Shaker hatte. Es war also ein stilechter Cocktail, der Bond, Hemingway & Co. alle Ehre machte.
Sie streckte den Arm aus, um an den kühlenden Daiquiri Mamacita-Barbara zu gelangen. Das war gar nicht so einfach mit der Last auf der Brust, die nicht mehr schnurrte, sondern schnarchte. Im Übrigen war dies ein seliger Zustand: Shortdrink, Kuscheln mit Bruno und ein gutes Buch. Denn wie hatte Daniel Defoe geschrieben? Wer eine Katze hat, braucht das Alleinsein nicht zu fürchten.
Barbara bummelte Überstunden ab. Während draußen die Hanse Sail tobte und ihr Kollege Uplegger im Stadthafen den Stand des Polizeipräsidiums betreuen musste, durfte sie ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen und die Biografie einer unglücklichen Frau lesen. Im Moment war das Marie Antoinette. Das Buch hatte sie auf einem Grabbeltisch in der Breiten Straße entdeckt, und der Titel Marie Antoinette – Die unglückliche Königin war dermaßen vielversprechend, dass sie hatte zuschlagen müssen. Allerdings war es ein Mängelexemplar, und so hatte Barbara noch nicht ein Wort gelesen, weil sie die Mängel suchte.
Die Fenster zum Stadthafen standen weit offen, was absurd war, da nur die Hitze eindrang. Und Geräusche: das Dudeln zahlreicher Karussells, die Musik von den vielen Bühnen. Irgendein Schreihals eröffnete oder schloss gerade einen Programmpunkt. Barbara mochte solche Großveranstaltungen nicht, aber sie mochte auch nicht aufstehen und das Fenster schließen, weniger wegen des Katers als aus Faulheit.
Das Telefon klingelte. Bruno spitzte die Ohren, Barbara gähnte. Sie war nicht da.
»Anschluss Riedbiester«, vernahm sie ihre Stimme vom Anrufbeantworter, »wir sind zur Zeit nicht da, Sie können aber eine Nachricht hinterlassen. Wir rufen umgehend zurück. Danke.«
Wen hatte sie eigentlich mit dem Wir gemeint?
»Oberkommissar Winkler, Leitstelle PP«, sagte ein Mann mit voller, erotischer Stimme. »Kollegin Riedbiester, bitte setzen Sie sich sobald wie möglich mit Ihrer Dienststelle in Verbindung. Es ist dringend! Ein mutmaßliches Tötungsverbrechen im
Nienhäger Holz. Ich versuche es auch auf Ihrem Handy. Ende.«
Nienhäger Holz? Das war doch der Gespensterwald? Barbara massierte ihrem Kater ein Ohr, was dieser grunzend goutierte. Mit dem Handy würde der erotische Polizist kein Glück haben. Sie hatte es ausgeschaltet.
Abermals klingelte das Telefon, und sie verdrehte die Augen.
»Gunnar.« Das war ihr Chef. »Wuchte dich in die Senkrechte und geh ran! Ich kenne dich und weiß, dass du bei solchem Wetter nicht am Strand liegst.«
Barbara seufzte – mit ihrer Figur lag sie bei keinem Wetter am Strand. Langsam hob sie Bruno vom Busen und legte ihn auf das Couchkissen, noch langsamer stand sie auf. Mit den Bewegungen einer Hundertjährigen trat sie zum Telefon und nahm den Hörer ab. »Du hast mich durchschaut.«
»Man sagt: Guten Tag.«
»Und an schlechten Tagen?«
»Dann gerade. Wo ist Uplegger?«
»Du selbst hast ihn dafür eingeteilt, unseren Stand im
Weitere Kostenlose Bücher