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Moerderische Fracht

Titel: Moerderische Fracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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entsprach auf perfide Weise dem Klischee des von Hause aus kriminellen Kaukasiers, das die russische Propaganda seit Jahrzehnten verbreitete. Hehlerei, Waffenschmuggel und Schwarzmarktgeschäfte, das war seine Welt. Aber Terrorismus?
    Wenn sie mich entdecken, werden sie mich auf der Stelle töten.
    »Neun – elf – vierundfünfzig – zwölf, merkt euch diese Zahlen!«, sagte Wassily jetzt, »alle großen militärischen Unternehmungen haben einen Namen, und dieser Zahlencode ist unser Name.«
    »Was bedeutet er?«
    Wassily schnaubte unwillig.
    »Keine Ahnung.«
    »Wirst du dabei sein?«
    Sein Schwager holte scharf Luft. Die Frage schien ihm unangenehm zu sein.
    »Nein«, sagte er schließlich mit gepresster Stimme, »doch ich kenne jemanden, der dabei sein wird. Er wird der erste Mann sein, der von einem Öltanker aus direkt ins Paradies hinüberwechselt. Allah sei gepriesen.«
    Als die Männer eine Viertelstunde später die Wohnung verließen, blieb Ediew Chasimikow einfach unter dem Bett liegen. Was er gehört hatte, war von so ungeheurer Tragweite, dass sein Kopf zu platzen drohte. Als er später darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass er von Anfang an entschlossen gewesen war, den Plan zu verraten. Die Frage war nur, an wen? Wer würde ihm glauben? Was wusste er wirklich? Und was war es wert? Die letzte Frage war zweifellos die interessanteste. Einen winzigen Augenblick dachte er daran, sich an die Behörden zu wenden, an die von Moskau eingesetzten Schergen des Präsidenten Kadyro – aber so dumm war er nicht. Denen konnte man nicht trauen, und den Russen schon gar nicht. Die würden ihn entweder auslachen oder einfach mal zusammenschlagen, um festzustellen, welche Informationen er zurückhielt. Und zum Schluss würden sie ihn mit großem Tamtam vor die Tür setzen, sodass jeder Tschetschene in Grosny wusste, dass er mit den Föderalen zusammenarbeitete. Wenn Wassily und seine Freunde davon erfuhren, kam das einem Todesurteil ziemlich nahe.
    Er war sicher, etwas gehört zu haben, das Geld wert war. Viel Geld. Der Gedanke, sich an seinem Schwager zu rächen und gleichzeitig ein reicher Mann zu werden, erzeugte in seinem Kopf ein angenehmes Achterbahngefühl. Was hätte sein Vater getan? Der alte Asian Chasimikow war ein schlauer Fuchs gewesen. Solange er noch lebte, hatte Ediew niemals selbst nachdenken müssen, und irgendwie verhalf er ihm auch dieses Mal zu einer Idee.
    Sein Vater hatte einen Freund gehabt, damals in den glorreichen Zeiten der Sowjetunion. Sie hatten in den siebziger Jahren zusammen in der sowjetischen Kriegsmarine gedient und über die Jahre hinweg Kontakt gehalten. »Ein guter Mann, dieser Bakarov«, hatte sein Vater stets gesagt, »der beste Kamerad, den ich je hatte. Obwohl er Russe ist. Hat nie auf uns Kaukasier herabgesehen. Versteht was von Menschen und von Schiffen. Vor allem von Schiffen.«
    Dieser Sergej Bakarov war nach seiner Militärzeit nach Lettland gegangen und war in Ventspils ein großes Tier bei der Hafenverwaltung geworden. Wie alt mochte er jetzt sein? Egal! Er würde ihm helfen, mit den richtigen Leuten zu sprechen. Bestimmt hatte er noch Kontakte zu westlichen Behörden. Die Letten hatten stets mit dem Westen geliebäugelt. Nur im Westen würde man ihn für seine Informationen bezahlen. Und in Lettland konnte man sich mit Russisch immer noch verständlich machen, oder?
    Er rollte sich unter dem Bett hervor, ging in die Küche und trank etwas Wasser. Der Blick aus dem Küchenfenster seiner Plattenbauwohnung im fünften Stock bot ihm auf der anderen Straßenseite eine schicke, futuristisch anmutende Hochhausfassade. Es ging aufwärts in Grosny, keine Frage, aber er wusste, dass einhundert Meter weiter die Straße hinauf Ruinen hinter hohen Bauzäunen versteckt wurden. In der von zwei Kriegen zerstörten Hauptstadt kündeten nur noch die Überreste zerschossener Gebäude von den Schrecken der Vergangenheit. Die Bauzäune waren mit großen Postern von Achmat Kadyrow gepflastert. Der Vater des heutigen Präsidenten war im Jahre 2004 ermordet worden, und sein Sohn ließ ihn wie einen Märtyrer feiern. Scheißkerl, dachte Chasimikow.
    Er fand in einer Küchenschublade einen schmuddeligen Notizblock und schrieb auf, was er gehört hatte.
     
     
    München, im Juli
    D
    ie Erinnerung ist wie ein Hund, der sich hinlegt, wo er will.« Dieser Satz ist nicht von mir. Er ist ein Zitat, paradoxerweise habe ich vergessen, von wem. Aber wer immer es gesagt hat, wusste, wovon er

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