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Moerderische Fracht

Titel: Moerderische Fracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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Letztendlich hatte ich sie mit der bayerischen Küche und dem Versprechen geködert, regelmäßig mit ihr essen zu gehen. Und ich hatte ihr einen Job besorgt.
    »Schön, dass es dir in Bayern gefällt«, sagte ich.
    »Mir gefällt es in München«, sagte sie, »das ist nicht ganz dasselbe. Komm lass uns was trinken!«
    Wir schlenderten ein paar hundert Meter durch den Park und fanden in einem Biergarten einen schattigen Tisch. Anna ging zum Ausschank und kam mit zwei Krügen zurück. Sie nahm einen kräftigen Zug, wischte sich den Schaum vom Mund und sah mich aufmerksam an.
    »Also, Herr Dr. Nyström, was ist los mit dir?«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Du hast mir mal gesagt, für einen Punk gäbe ich eine gute Psychologin ab. Weißt du noch?«
    »Ja, und du hast geantwortet, die Psychologie werde allgemein überschätzt.«
    »Stimmt«, sagte Anna, »ich bin viel besser. Weil ich zur Psycho-Logik noch etwas normale Logik hinzufüge. Die Mischung machts. Deine Augen sind leicht blutunterlaufen, und deine Gesichtshaut ist ausgetrocknet und gerötet. Ich denke, dass du sehr wenig schläfst und viel trinkst. Du hast einen Haufen mehr Falten im Gesicht als noch vor einem halben Jahr und an Gewicht verloren. Wie viele Kilo sind es? Fünf?«
    »Acht.«
    Anna nickte.
    »Und du arbeitest auch zu viel. Du kommst keinen Abend vor acht Uhr aus deinem blöden Institut heraus.«
    »Ich mache mir Sorgen um meinen Job. Mein Fünf-Jahres-Vertrag läuft im Herbst aus, und ich bin nicht mehr sicher, ob sie ihn verlängern.«
    »Kein Problem. Wenn du dich weiter so ruinierst, brauchst du ihn nicht mehr!«
    »Ich überlege, ob ich mich in Martinsried bewerbe.«
    »Was gibt es da?«
    »Das Max-Planck-Institut für Neurobiologie. Die machen dort Forschung auf höchstem Niveau. Sie haben es zum Beispiel geschafft, mit einem speziellen Mikroskop live zu beobachten, wie das Gehirn beim Lernen seine Verschaltungen ändert. Weißt du, wenn eine Nervenzelle angeregt wird, dann sprießen auf ihrer Oberfläche winzig kleine Dornen, wachsen zu anderen Nervenzellen hinüber und docken dort an. Sobald die Reize nachlassen, bilden sich diese Dörnchen wieder zurück.«
    »Ja«, sagte Anna, »das ist alles ganz toll, nur darum gehts hier nicht, oder?«
    Ich schwieg.
    »Es geht um Helen. Um Helen und um das, was passiert ist. Du wirst nicht fertig damit.«
    Helen Jonas, Annas Schwester und meine langjährige Freundin und Geliebte, war vor zwei Jahren, vier Monaten und zwölf Tagen in einer Hamburger Saunakabine ermordet worden. Was genau bedeutete: damit fertig werden?
    Ich schüttelte benommen den Kopf.
    »Im ersten Jahr ging es. Ich habe mich wieder in meine Arbeit gestürzt. Wir bekamen die Forschungsgelder bewilligt, und alles lief auf Hochtouren. Die Träume wurden weniger, auch deshalb, weil ich jeden Abend so lange gejoggt bin, dass ich hinterher wie ein Stein schlief. Irgendwann ließ der Schmerz nach. Ich konnte ihr Bild auf meinem Schreibtisch ansehen und mit Wehmut und Liebe an sie denken. Ohne diese bleierne Traurigkeit und ohne das Gefühl des Abstürzens. Seit einem halben Jahr hat alles wieder angefangen. Die Träume, die Panikattacken und die Erinnerung an das, was ich getan habe.«
    Anna schwieg eine Weile.
    »Was du getan hast, war richtig«, sagte sie schließlich. » Wir waren die Opfer. Sie haben dich bedroht, zusammengeschlagen und mich entführt. Ich bin dir verdammt dankbar dafür, dass du versucht hast, mich da rauszuholen!«
    »Was ich im Grunde nie richtig begreifen konnte, war die Tatsache, dass wir nicht nur lebend, sondern auch ganz ohne Strafverfolgung aus der Sache herausgekommen sind. Verstehst du, ich habe einen Menschen getötet und zwei andere lebensgefährlich verletzt, und der zuständige Bulle sagt am Ende ›Scheiß drauf ‹ und geht in Pension.«
    »Ja, und?«, sagte Anna, die langsam wütend wurde. »Das war wahrscheinlich das Korrekteste, was dieser Geldorf in seinem ganzen Leben gemacht hat. Und ich bin diese Gewissensfummelei jetzt leid. Der Mann, der deinetwegen im Rollstuhl sitzt, ist ein bezahlter Mörder und Kriegsverbrecher. Und wenn du mich fragst, ist er mit dem Rollstuhl noch gut bedient.«
    »Ich habe überlegt, eine Psychotherapie zu machen.«
    »Ach du meine Güte«, sagte Anna. Ihre Stimme hatte jetzt den vor Sarkasmus triefenden Tonfall, den ich auch bei ihrer Schwester gefürchtet hatte. »Psychotherapeuten. Ich hasse diese Brut. Statt Antworten immer nur Gegenfragen. Sie stellen einfach

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