Mörderische Weihnacht
tiefliegenden Augen zusammenkniff und den Kerzendocht zurückschnitt. Seine leise Stimme klang knirschend und rauh wie immer. »Und ein müder Mann mit einem weichen Herz für Sünder.«
Es geschah selten genug, daß Cynric, abgesehen von den auswendiggelernten Antworten im Gottesdienst, vierzehn Worte auf einmal sagte: Vierzehn Worte, die er aus eigenem Antrieb sprach, hatten die Kraft einer Prophezeiung. Ein trauriger Mann war Vater Adam gewesen, weil er siebzehn Jahre lang die ewigen Fehler der Menschheit gesehen und ertragen hatte, und ein müder Mann, weil mit sechzig Jahren jeder Mensch erschöpft ist, wenn er endlos lange getröstet und gescholten und vergeben hat; vor allem, da es auf seiner Seite weder Boshaftigkeit noch Zorn gab. Ein freundlicher Mann, weil es ihm trotz der überwältigenden menschlichen Fehlbarkeit gelungen war, sich Mitgefühl und Hoffnung zu bewahren. Ja, Cynric hatte ihn besser gekannt als jeder andere. Er hatte in den langen Jahren einige Eigenschaften seines Vorgesetzten angenommen, ohne sich jedoch dessen Autorität anzumaßen.
»Er fehlt Euch«, sagte Cadfael. »Er fehlt uns allen.«
»Er ist nicht weit«, sagte Cynric, während er mit Daumen und Zeigefinger den erloschenen Docht wegschnipste.
Der Kirchdiener war über fünfzig, doch man konnte nicht sagen, um wie viele Jahre er dieses Alter überschritten hatte, denn er wußte nur Tag und Monat seiner Geburt, aber nicht das Jahr. Er hatte dunkles Haar und dunkle Augen und eine fahle Haut, und er trug ein verschlissenes schwarzes Gewand, das in den langen Jahren, die er es trug, am Saum etwas ausgefranst war. Er bewohnte den winzigen Raum über der nördlichen Vorhalle, wo Vater Adam sich angekleidet und seine Kirchengeräte aufbewahrt hatte. Ein schweigsamer, ernster, duldsamer Mann, mit langen, starken Knochen, aber mit nur wenig Fleisch darauf, aufgrund der Vergeßlichkeit eines Einsiedlers ebenso wie aus Mangel an Möglichkeiten zum Schlemmen. Er stammte aus einer freien Familie vom Lande, und irgendwo nördlich der Stadt lebte ein Bruder mit seinen erwachsenen Kindern, den er hin und wieder an Feiertagen oder Festtagen besuchte; doch waren diese Besuche in letzter Zeit sehr selten geworden, da sich sein ganzes Leben auf die große Kirche und den kleinen Raum im oberen Stockwerk konzentrierte. Eine so ausgezehrte Gestalt und ein so schweigsames und verschlossenes Gesicht hätte Furcht und Scheu hervorrufen können, doch dem war nicht so, denn jedermann, selbst den Rangen aus der Vorstadt, war bekannt, was sich hinter dem Schweigen verbarg, und dies war keineswegs ein Grund zu Furcht oder Abscheu. Trotz seiner Vorlieben und Eigenarten war er ein guter Mann. Nicht sehr beredt, aber wenn man ihn brauchte, war er zur Stelle und würde wie sein verstorbener Herr niemand mit leeren Händen fortschicken.
Wer sich in seiner schweigsamen Gesellschaft nicht wohlfühlte, respektierte ihn zumindest, und die Unschuldigen und Arglosen hatten ihn wirklich ins Herz geschlossen. Kinder und Hunde saßen im Sommer gemütlich bei ihm auf den Treppen der Vorhalle und plauderten munter, wie es ihnen beliebte, während er lauschte. Viele Mütter in der Vorstadt, die zufrieden ihre Kinder in Gesellschaft eines so ehrenhaften Kirchenmannes sahen, wunderten sich insgeheim, daß Cynric nie geheiratet und eigene Kinder gezeugt hatte, da er doch so gut mit ihnen umgehen konnte. Sein Amt als Kirchdiener konnte nicht der Grund sein, denn viele Priester in den Gemeinden der Grafschaft waren verheiratet, ohne daß sich jemand daran störte. Die jüngste Anweisung der Kirche, daß Kirchenbeamte keine Frauen haben dürften, breitete sich gerade erst im Lande aus, und niemand, nicht einmal Bischöfe, sahen die Angehörigen der alten Schule, die geheiratet hatten, scheel an.
Mönche waren Mönche, und sie hatten ihre Wahl getroffen; aber die weltlichen Kirchenleute konnten weltlich sein, ohne einen Vorwurf zu hören.
»Hatte er keine lebenden Verwandten?« fragte Cadfael. Von allen Hinterbliebenen war Cynric derjenige, der es ganz bestimmt wissen mußte.
»Niemand.«
»Er war gerade hier zum Priester bestellt worden, als ich mit Abt Heribert aus Woodstock kam«, sagte Cadfael. »Oh, damals war Heribert erst Prior, denn Abt Godefrid lebte noch. Soweit ich mich erinnere, seid Ihr ein oder zwei Jahre später gekommen. Ihr seid etwas jünger als ich, aber wir zwei zusammen könnten schon ein ganzes Stück der Geschichte von Geschichte von Kutte und Soutane
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