Mörderische Weihnacht
in der Vorstadt aufschreiben. Das wäre eine hübsche Denkschrift für Vater Adam. Und eine makellose dazu. Er hatte seine ewigen Büßer, aber es gereicht ihm eher zur Ehre, daß sie immer wieder zu ihm kamen. Sie mochten nicht ohne ihn leben. Und er hielt sie am langen Band und zog sie immer wieder zu sich zurück, ob sie wollten oder nicht.«
»So war er«, sagte Cynric und knipste den letzten schwarzen Docht mit den Fingernägeln ab. Dann stellte er die Kerzenhalter auf dem Gemeindealtar zurecht und trat mit schmalen Augen einen Schritt zurück, um zu überprüfen, ob sie korrekt wie Wachsoldaten standen.
Er krächzte etwas, als er seine ungeübten Stimmbänder dazu bewegen wollte, noch einige Worte zu äußern. Sie schienen zu protestieren. »Hat man schon einen Nachfolger ausgewählt?«
»Nein«, sagte Cadfael, »sonst hätte der Vater Abt es Euch schon mitgeteilt. Er muß sich morgen auf einen Gewaltritt in den Süden begeben, um rechtzeitig das Konzil des Legaten in Westminster zu erreichen, und die Frage der Nachfolge muß bis zu seiner Rückkehr warten. Aber er versprach, sich zu beeilen. Er weiß, wie wichtig es ist. Mag sein, daß Ihr bis zur Rückkehr des Abtes hin und wieder mit Bruder Jerome vorlieb nehmen müßt, aber ich bezweifle nicht, daß die Pfarrei Radulfus sehr am Herzen liegt.«
Dazu gab Cynric mit einem schweigenden Nicken seine Zustimmung, denn in all den Amtsjahren Vater Adams waren die Beziehungen zwischen Kloster und Pfarrei unter drei aufeinanderfolgenden Äbten recht freundschaftlich gewesen, ganz im Gegensatz zu einigen anderen, auf ähnliche Weise gemeinsam benutzten Kirchen, wo es, wie jeder wußte, ständig Reibereien gab. Die Mönche gewährten den
Gemeindemitgliedern nur widerwillig Zugang zu ihrer Enklave und ihren geschützten Gebäuden, während die
Gemeindepriester verbissen um ihre Rechte kämpften, damit sie nicht hinausgedrängt wurden. Vielleicht war es hauptsächlich der bescheidenen Güte Vater Adams zuzurechnen, daß man hier den Frieden gehalten und harmonisch zusammengelebt hatte.
»Ab und zu hat er gern einen guten Schluck getrunken«, sagte Cadfael versonnen. »Ich habe noch einige Flaschen von seinem Lieblingswein - mit Kräutern angesetzt, gut für Herz und Kreislauf. Kommt doch nachmittags einmal zu mir in den Garten, Cynric, dann können wir auf ihn anstoßen.«
»Gern«, erwiderte Cynric und zeigte für einen Moment jenes seltene, nachsichtige Lächeln, das Kinder und Hunde voller Vertrauen zu ihm kommen ließ.
Sie schritten gemeinsam über die kühlen Fliesen des Kirchenschiffs, bis Cynric zur Nordhalle abbog und in seine kleine dunkle Kammer hinaufstieg. Cadfael blickte ihm nach, bis die Tür geschlossen war. All die Jahre waren sie einander so nahe gewesen, hatten auf gutem Fuß gestanden, ohne wirklich vertraut zu werden. Gab es überhaupt jemand, der mit Cynric vertraut war? Seit Cynric sich aus der Obhut seiner Mutter gelöst und seinem Vaterhaus den Rücken gekehrt hatte, war Vater Adam wahrscheinlich der einzige gewesen, der ihm je nahe gekommen war. Zwei Einsame zusammen, das ergab ein schönes Paar. Ja, von allen, die um Vater Adam trauerten, und das waren nicht wenige, war Cynric gewiß derjenige, der ob des Verlustes die größten Schmerzen empfand.
Sie hatten zum erstenmal in diesem Dezember ein Feuer im Wärmeraum angezündet, und in der müßigen halben Stunde zwischen der Kollation und der Komplet, in der ihre Zungen sich mit einiger Freiheit bewegen durften, gab es weitaus mehr Gerede und Spekulationen um die Amtsnachfolge des Pfarrers als um das Konzil des Legaten in Westminster, zu welchem Abt Radulfus gerade aufgebrochen war. Prior Robert, der in Abwesenheit des Abtes dessen Amtsgeschäfte übernahm, war in die Gemächer des Abtes umgezogen, was die Freiheiten der Redseligen noch vergrößerte. Doch sein Kaplan und Schatten, Bruder Jerome, fühlte sich nun berufen, Pflicht und Amtsgewalt des Priors stellvertretend zu übernehmen, während Bruder Richard, der Unterprior, viel zu lebenslustig, um nicht zu sagen zu hemmungslos war, um sich irgendeine Autorität anzumaßen.
Von schmächtigem Körperbau war Bruder Jerome, doch machte er dies durch übergroßen Eifer wieder wett. Allerdings gab es einige, die diesen Eifer für etwas engstirnig hielten und die Ansicht vertraten, es mangele ihm an menschlicher Toleranz und Milde. Jerome seinerseits war
verständlicherweise der Meinung, Vater Adam sei mit ebendiesen Qualitäten
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