Mogelpackung: Roman
Was durftest du nicht verraten, bevor es über die Bühne geht?«
»Es ist ja immer noch nicht über die Bühne gegangen«, lächelte Tim verschmitzt. »Aber ich sag’s dir trotzdem: Patrik übt E-Gitarre. Wenn er richtig perfekt ist, will er es auf der Bühne krachen lassen!«
Fredo pfiff gedehnt durch die Zähne. »Schafft er’s?«
»Pat spielt wie der Gitarrengott persönlich!«
»Gut.« Fredo fehlten plötzlich die Worte, er sah Tim einen Moment lang verlegen an. Dann sagte er: »Ich fahr zurück nach Berlin.«
»Wann?«
»Jetzt gleich.«
Tim schluckte, dann nickte er. »Warte nicht wieder zwei Jahre, bis du uns besuchst.«
»Versprochen. Grüß bitte Karla von mir. Ich rufe sie in den nächsten Tagen an. Spätestens an ihrem Geburtstag.«
»Den hast du bis jetzt immer vergessen.«
»War in einem anderen Leben.«
Sie grinsten sich noch einmal verständnisinnig an, dann verließ Fredo seinen Neffen.
Sein Koffer war schnell gepackt. Der Abschied von Nicole und Markus war kurz, aber herzlich.
»Komm wieder, wann immer du willst«, sagte seine Schwägerin und umarmte Fredo. »Das meine ich ernst!«
»Aber sag vorher Bescheid, dann nagele ich schon mal Bretter vor die Scheiben!«, ergänzte Markus schmunzelnd und reichte Fredo den Autoschlüssel. »Nimm den Benz. Und bring ihn im nächsten Urlaub zurück. Das ist hoffentlich bald!«
Dann saß Fredo endlich im Auto. Fuhr noch einmal durch Bornstedt. Versuchte, möglichst an nichts zu denken, bis er die Hauptstraße erreichte. Die Straße am Ortsausgang lag im gleißenden Gegenlicht. Fuß aufs Gas und hinein in die ungewisse Zukunft …
Fredo trat das Pedal durch und klappte gleichzeitig die Sonnenblende herunter. Ein fettes, haariges, vielbeiniges Wesen fiel ihm entgegen.
MONSTERSPINNE!
Fredo verriss das Lenkrad. Der Benz schlingerte, schleuderte, drehte sich. Rasierte mit hässlichem Geräusch etwas Blechernes, entwurzelte ein paar Sträucher und blieb dann stehen. Fredo riss die Tür auf, sprang aus dem Wagen und klopfte sich die Riesenspinne vom Bauch. Am liebsten wäre er auf ihr herumgetrampelt, aber das brachte er dann doch nicht fertig. Also sah er ihr nach, wie sie sich behäbig in den wenigen Sträuchern verkroch, die der Benz noch übriggelassen hatte. Der Wagen sah nun richtig fertig aus. Auf der Kühlerhaube lag etwas: das leuchtend gelbe Ortsschild mit der Aufschrift »Bornstedt«. Jetzt hatte er es endgültig vernichtet. Das hatten sie mit den Steinen nie geschafft.
Fredo zog das Schild von der Haube und warf es neben den abgebrochenen Metallpfosten. Dann lehnte er sich gegen den ramponierten Wagen, hielt das Gesicht in die Sonne und schloss die Augen. Er öffnete sie auch nicht, als ein anderes Auto herankam und neben ihm hielt.
Jemand näherte sich.
»Jetzt sieht man gar nicht mehr, wo Bornstedt anfängt oder aufhört«, sagte Helena.
»Bornstedt hört nie auf.« Fredo ließ die Augen geschlossen. »Da kannst du machen, was du willst.«
»Habe ich auch schon gemerkt.«
»Bist du deshalb noch da?« Fredo spürte, wie sie sich neben ihn an den Mercedes lehnte. Eng neben ihm. Es fühlte sich gut an. Sogar sehr gut.
»Eher deinetwegen.«
»Vielleicht bin ich auch bloß eine Mogelpackung.«
»Werden wir ja sehen.«
»Ich bin auf dem Weg nach Berlin.«
»Hat mir dein Bruder eben auch gesagt. Ich dachte: Entweder erwische ich dich noch vor der Ortsgrenze – oder du bist futsch.«
Fredo öffnete endlich die Augen und wandte Helena sein Gesicht zu. »Ich liebe dich.«
Über Jan Schröter
Jan Schröter, geboren 1958 in Hamburg, ist gelernter Buchhändler. Seit 1995 schreibt er Drehbücher für große Fernsehproduktionen (»Großstadtrevier«, »Alphateam«, »Traumschiff«) sowie Reisebücher und Kriminalromane. Mogelpackung ist sein erster Roman bei Knaur.
Über dieses Buch
Im Job die Kündigung kassiert, die Freundin mit dem Chef im Bett erwischt – Fredo Fried ist völlig planlos und braucht dringend eine Erleuchtung. In dieser Krise kommt ihm das Angebot seines Bruders gerade recht: Fredo soll für ein Vierteljahr als Haus- und Kinderhüter in die Bresche springen, da Markus beruflich ins Ausland muss. Eine Luxusvilla inklusive Weinkeller und Limousine – genau die richtige Wellness-Oase für einen Mann in der Sinnkrise, findet Fredo. Allerdings stecken die beiden Teenies Tim und Karla mitten in der Pubertät und Oma Gesche rutscht zunehmend in die Demenz ab. Egal! Getreu seinem Motto »blenden, bluffen, abtauchen«
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