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Heimlich

Heimlich

Titel: Heimlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Ellroy
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PROLOG
    Während des dunklen, kalten Winters 1951 arbeitete ich auf Streife in Wilshire, spielte viel Golf und suchte für die eine oder andere Nacht die Gesellschaft einsamer Frauen.
    Die Nostalgie betrügt die Unwissenden - sie flößt ihnen Sehnsucht nach einer Schlichtheit und Unschuld ein, die sie nie erreichen können. Die fünfziger Jahre waren keineswegs unschuldiger. Die dunklen Mächte, die heute unser Leben beherrschen, gab es damals auch, nur waren sie schwerer auszumachen. Deshalb war ich Cop, deshalb stieg ich den Frauen nach. Golf war lediglich ein Reservat der Reinheit, etwas, das ich außerordentlich gut beherrschte. Ich konnte einen Golfball fast dreihundert Meter weit schlagen. Golf war atemberaubende Sauberkeit und Schlichtheit.
    Mein Streifenkollege war Wacky Walker. Er war seit fünf Jahren mein Seniorpartner, obwohl er genauso lange in der Abteilung war wie ich. Wir stießen das erste Mal im Mannschaftsraum des Wilshire-Reviers aufeinander; jeder von uns trug eine Golftasche. Wir grinsten einander breit an und verstanden uns augenblicklich - und vollständig.
    Für Wacky galt: Gedichte, Wunder und Golf; für mich galt: Frauen, Wunder und Golf. »Wunder«, das war für uns beide dasselbe: der Job, die Straßen, die Leute und der wandelbare Ethos, den wir hatten. Wir, die wir täglich mit Betrunkenen, Junkies, Strichern, Schwanzwedlern, Nutten, Kiffern, Einbrechern und dem namenlosen, einsamen Abfall der menschlichen Gesellschaft zu tun hatten. Wir wurden die besten Freunde und später Partner während der Tagschicht.
    Die Tagschicht leitete Lieutenant William Beckworth, ein Golfnarr - und ein hoffnungsloser Ballschläger. Als er hörte, daß mein Handicap Null war, versetzte er mich in die Tagschicht, und im Gegenzug gab ich ihm Unterricht. Es war ein fairer Tausch, aber Beckworth war unbelehrbar. Ich konnte den Lieutenant um den kleinen Finger wickeln. Samstag morgens, wenn ich mit Volldampf in Country Clubs und auf öffentlichen Plätzen golfte, spielte er sogar den Caddy für mich. Also war es leicht, Wacky von der Nachtschicht loszueisen und ihn auf die Tagstreife zu schicken, mit mir als Partner. Was uns noch enger verband.
    Herbert Lawton Walker war zweiunddreißig Jahre alt, vom Tod besessen und Alkoholiker. Er war ein echter Held - im Zweiten Weltkrieg hatte er die Tapferkeitsmedaille des Kongresses erhalten. Sie war ihm verliehen worden, weil er auf Saipan zwei MG-Nester voller Japse weggeputzt hatte. Er hätte jeden Job kriegen können, den er wollte. Als er in Kriegsanleihen reiste, überschütteten ihn Versicherungsgesellschaften mit Angeboten, aber er entschied sich für das Los Angeles Police Department, eine blaue Uniform, eine Knarre und das Wunder.
    Für einen Suffkopp wie ihn wurde die Vorstellung vom Wunder natürlich irgendwie von der Menge des konsumierten Alkohols bestimmt. Ich war sein Wachhund, der ihm morgens den Sprit vorenthielt und sein Quantum kontrollierte, bis unsere Tour endete und wir auf die Wache zurückkamen.
    Früh am Abend, bevor ich mich auf die Suche nach Frauen machte, pflegten Wacky und ich in seiner Wohnung ein paar zu kippen und über das Wunder zu reden oder den Krieg, den ich gemieden und in dem er sich einen Namen gemacht hatte. Wacky war überzeugt, daß ihn das Töten der fünfzehn Japse auf Saipan zu einem Wundersüchtigen gemacht hätte, und daß der Schlüssel zum Wunder im Tod läge. Ich widersprach. Wir stritten. Ich sagte, das Leben wäre gut. Wir waren uns einig. »Wir sind eingeschworene Beschützer des Lebens«, sagte ich. »Aber der Schlüssel liegt im Tod«, sagte er. »Verstehst du das nicht? Solltest du je töten müssen, wirst du’s wissen.« Wir kamen immer bis zu diesem Patt. Dann brachte Wacky mich gewöhnlich zur Tür, schüttelte mir herzlich die Hand und zog sich in sein Wohnzimmer zurück, um zu trinken und Gedichte zu schreiben. Mich, Frederick Upton Underhill, sechsundzwanzig Jahre alt, ein zu groß geratener Cop mit Bürstenschnitt, ließ er auf dem Treppenabsatz stehen und über Nacht und Neon nachsinnen. Und darüber, was ich mit dem anfangen sollte, was ich später die letzte Saison meiner Jugend nennen würde.
    Jene Zeit sollte ein Ritus des Übergangs werden, bestehend aus Fehlstarts und Trugschlüssen. Ich würde in der Liebe versagen und sie tausendmal verfluchen; ich würde den Annehmlichkeiten des Lebens hinterherhecheln und ein letztes Aufwallen nackter Gewalt spüren. Ich würde schließlich töten - und Wackys

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