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Mømø im Legøland

Mømø im Legøland

Titel: Mømø im Legøland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Piewitz
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Brücken.
    Platz 8: Pulsadern aufschneiden oder sich erdolchen.
    Platz 9 beanspruchen die simulierten Autounfälle. wahrscheinlich müßte diese Art viel weiter vorne rangieren, aber man weiß eben nichts Genaues.
    Platz 10 schließlich gebührt dem lebenslänglichen Freitod durch Fressen, Saufen, Rauchen, Pillen und Streß. Diese Variante gehört natürlich eigentlich auf Platz 1, aber da steht sie nicht, und zwar aus demselben Grund, warum die simulierten Autounfälle erst an neunter Stelle plaziert sind.
    Mir selbst, Michail Bakunin, ist dies alles gleichermaßen zuwider, ich habe schon vor Jahren beschlossen, dadurch, daß ich nicht sterbe, unsterblich zu werden. Oder, um es zu präzisieren: ich sterbe genau in dem Moment, in dem ich es will.



5.

    Als Mømø Laumann mit dem Senffladen auf dem Kopf aus dem Café trat — ist er wieder ich.
    Ich hatte eine schwere Zeit hinter mir.
    Der Widerstand war zusammengebrochen. Das Bürgertum hatte unter der Bezeichnung »Die Grünen« eine Partei gegründet, die wie ein Staubsauger durch die Gegend fuhrwerkte, strickend. Ja, ein strickender Staubsauger, der die Wollmäuse fraß. (Wahnsinn, jetzt habe ich einen neuen Mythos geschaffen!) Fast meine ganze Umgebung verschwand in diesem Drecksack, und wer da erstmal drinsteckte, verlor sehr schnell die Orientierung: Im Inneren war links und rechts, vorne und hinten, unten und oben, black und decker nicht mehr zu unterscheiden. »Die Grünen« saugten bürgerliche Ängste auf. Sie hatten die Anti-AKW-Bewegung und die Friedensbewegung zu einer grünen Weste verstrickt. Sie verdauten ohne weitere Flatulenzen den »Mythos des 20. Jahrhunderts«, pflegten außer dem »Mythos Deutsche Mutter« auch den »Mythos Deutsche Innerlichkeit« und belebten vor allem den »Mythos Deutscher Wald«. Der Trend ging zum Zweitrad.
    Sie mißbrauchten das Feminat zur Wählergewinnung. Sie waren so revolutionär wie die Spiegelfechter, Firlefänze, Waldschrate, Schattenschelme und Wanderfelsen, die wir aus der unendlichen Geschichte kennen. Sie legten die Vertrauensaktien ihrer Gefolgschaft ausgerechnet im Parlamentarismus an.
    Ihr Maskottchen und ihr Lieblingsmythos war der »Mythos Deutsche Ampel«: Grün = Gehe!, Rot = Halt!
    Ich fühlte mich politisch neutralisiert, menschlich isoliert und total am Ende. Um zu überleben ging ich in die Verwaltung und eine Verlobung ein. Ich wurde ein Herr in Grau und managte mit beim Zeit-Sparen. Als ehemaligem Heimkind fiel es mir nicht schwer, in der Gestalt des Oberstadtbaurats meine Mutter wiederzuerkennen. Das führte zu Schuldgefühlen, die ich versuchte, in der Zuwendung an die Tochter des Oberstadtbaurats abzubauen. Da ich ihr aber insgeheim übelnahm, daß sie nicht mein Vater war, mußte es, weil ich meine Mutter, also ihren Vater, nicht verletzen wollte, indem ich seine Tochter, also seinen Mann und meinen Vater, kränkte, zu einem Aggressionsstau kommen. Der war ja nun explodiert, und ich, Mømø Laumann, bin als Muttermörder und freier Mensch aus dem Café auf die Straße getreten...



6.

    Erstmal Trauer.
    Die Leute weigern sich, einzusehen, daß so'n Ende endgültig ist. Die wollen nicht wahrhaben, daß der Tod kein Mythos ist, sondern Ende. Deswegen füttern sie ihn wie verrückt mit ihren Ängsten.
    Selbst, wenn sie vor einem Leichnam stehen, geben sie nicht auf. Niemand kann sich selber als Leiche denken. Das gibt einen feinen Verdrängungsmechanismus. »Der Tote schläft nur«, redet man sich heraus und faselt vom »teuren Entschlafenen«.
    Schon die Neandertaler haben ihre Toten mit Ocker rötlich (und nicht mit Moos grünlich) aufbereitet, damit sie weiterhin einigermaßen lebendig aussahen. Heute macht man das nicht mehr mit Ocker, sondern mit der Avon-Beraterin. Die schminkt den »sanft Ruhenden« zum lebenden Leichnam wie vor 100000 Jahren. Die Zombie-Industrie lebt nicht schlecht davon. Ding-Dong. Die Leute, die mit der Schlaftheorie nicht klarkommen, behaupten, die tote Person sei »auf die große Reise« gegangen, also auf Tour ins Ausland oder so, total alternativer Urlaub. Der Tote kommt zwar nicht zurück, aber sein Leben geht on the road irgendwie weiter, vielleicht sogar besser als hier in den real existierenden Ismen, und für die Reise hat man die Toten mit allem ausstaffiert, was die so brauchen: Die Griechen mit dem obolus und ähnlichen Trinkgeldern, andere mit Lebensmitteln und Waffen, und wieder andere mit ihren Pferden, der gesamten Dienerschaft oder ihren verbrannten

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