Mond der verlorenen Seelen
gepackt, versuchte sie in Panik die Hände des Mannes von ihrem Hals zu lösen. Doch je mehr sie sich wehrte, desto mehr presste er ihn zusammen. Ihre Knie knickten ein und ihre Augen quollen weit aus den Höhlen hervor. Verdammt, weshalb half ihr denn keiner?
Schweiß brach trotz der Kälte aus all ihren Poren. Sie wollte um Hilfe schreien, doch es endete nur in einem Röcheln. Der Mann zog sie dicht an sich heran, sodass sie auf seinem Oberkörper zum Liegen kam. Todesangst verlieh ihr ungeahnte Reserven. Sie trommelte mit ihren Fäusten auf seinen Brustkorb ein. Aber er zeigte sich von ihren Befreiungsversuchen unbeeindruckt. Seine Finger drückten immer stärker ihren Hals zu, wie eine Presse die Frucht. Schon spürte sie, wie seine Finger ihre Haut durchstießen. Als sie sich tief in ihre Kehle gruben, erlosch ihr Lebenswille durch den überwältigenden Schmerz. Warm floss das Blut ihren Hals hinunter, das er mit seiner Zunge ableckte. Ihre Lider begannen zu flattern, ihr Herzschlag verlangsamte sich. So fühlte es sich also an, wenn einen der Tod umarmte. Ein letztes Mal bäumte sie sich auf, stützte sich auf die Arme, bis die Kräfte versagten und sie auf ihm zusammenbrach.
-1-
M itten in der Nacht wachte Amber durch den Sturm auf, der ums Schloss heulte und den Regen gegen die Fensterscheiben peitschte. Unaufhörlich erhellten Blitze den Himmel und Donner grollte. Aber das war es nicht allein, was sie geweckt hatte, sondern das Geräusch von Schritten auf dem Dach. Jetzt war sie hellwach. Unmöglich, sie musste sich irren. Bestimmt war irgendwo eine Schindel locker und klapperte. Ein Schatten huschte mit einem leisen Surren am Fenster vorbei, wie ein flatternder Schal. Ein Hauch eisiger Kälte, den er wie einen Kometenschweif hinter sich herzog, durchdrang das Mauerwerk und hüllte sie ein. Die Kälte der Schattenwelt. Amber schauderte. Sollten sich ihre Ahnungen der letzten Tage bewahrheiten? Ihre quälenden Visionen von Dämonen, die durch das Tor dringen und ihre skelettierten Hände ausstrecken, um Seelen in die Schattenwelt zu entführen?
„Aidan? Aidan, hast du das gehört?“, flüsterte sie.
Aidan antwortete nicht.
Ihre Hand betastete die andere Betthälfte. Sie war leer, wie jede Nacht. Auch heute war er dem Ruf der Schattenwelt in die Dunkelheit gefolgt. Was hätte sie in diesem Moment darum gegeben, ihn an ihrer Seite zu wissen. Aber sie musste sich an seine nächtlichen Streifzüge gewöhnen, wenn sie mit ihm leben wollte. War er wirklich zum Vampir geworden? Sie mochte nicht daran glauben und klammerte sich an die Hoffnung, seine Worte würden sich nicht bewahrheiten. Und doch, die Unruhe, die ihn bei Einbruch der Dämmerung erfasste, sprach dafür. Wenn er sich wie ein wildes Tier gebärdete, das man seiner Freiheit beraubt und in einen Käfig gesperrt hatte, und das nun mit aller Macht hinausdrängte.
Es bedeutete, ihn gehen zu lassen, so schwer ihr das auch fiel.
Er ließ sie mit ihrem Zweifel zurück.
Wenn sie sich nur nicht so verflucht einsam fühlen würde. Aus Liebe hatte sie sich entschieden, alles mit ihm durchzustehen, ohne zu ahnen, wie hart das Schicksal sie damit auf die Probe stellen würde.
Sie sprang aus dem Bett und rannte zum Fenster. Der gegenüberliegende Schlossflügel, den ihre Mutter und Kevin bewohnten, war dunkel, ebenso die Dachwohnung des Brennereiverwalters. Blitze zeichneten für Sekundenbruchteile spitze Streifen auf das patinabedeckte Schindeldach. Der Wind pfiff durch die Ritzen des alten Gemäuers. Amber fröstelte und verschränkte die Arme vor der Brust. Auch wenn ihr der Verstand sagte, es war die Schattenwelt, die ihn veränderte und sein Verhalten bestimmte, fiel es ihr schwer, das zu akzeptieren. Sein verwandeltes Wesen lehrte sie Angst vor der gemeinsamen Zukunft.
Eine Bewegung auf dem Dach unterbrach ihre Gedanken. Amber verengte die Augen, um besser erkennen zu können. Eine Gestalt lief leichtfüßig das steile Dach hinauf, als spaziere sie auf einer Straße. Also hatte sie sich die Schritte nicht eingebildet. Wer oder was zur Hölle war das? Sie schloss die Augen. So etwas gab es nicht, höchstens in Filmen. Aber als sie die Augen wieder öffnete, war die Gestalt noch immer da. Auf der Dachspitze angekommen, balancierte sie mit ausgebreiteten Armen, ohne sich an dem Unwetter zu stören. Amber erstarrte , als sich durch den Blitz eine Silhouette abzeichnete.
Aidan!
Das konnte nicht sein. Sie zwickte sich in den Arm, um zu prüfen, dass
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