Mondmädchen
zu.
»Meinem Sohn, Alexandros Helios, übertrage ich das Königreich Armenien, wo er mit seiner Verlobten, Prinzessin Iotape von Medien regieren wird.« Ich genehmigte mir nicht den kleinsten Seitenblick in Richtung meines Zwillingsbruders, denn der Eindringling saß zwischen uns.
Die schwarzäugige kleine Prinzessin mit den seidigen Haaren war nichts anderes als eine königliche Geisel – eine Garantie, dass ihr Vater, der König, sich an seinen Treueschwur gegenüber Tata halten würde. Aber ich empfand keinerlei Zuneigung für sie. Wie Alexandros sich in Iotapes Gegenwart benahm! Als wäre Hermes selbst vom Berg Olymp herabgestiegen, um sie ihm persönlich zu übergeben. Bis sie hier aufgetaucht war, hatten Alexandros und ich so gelebt, als teilten wir noch immer einen Mutterleib – wir spielten, schliefen, aßen und lachten gemeinsam. Aber jetzt war es Iotape, zu der er beim ersten Sonnenstrahl ging und mit der er bis zur Abenddämmerung spielte, wenn Ras Sonnenboot in die Dunklen Gefilde hinabfuhr. Ich würde ihr nie verzeihen, dass sie ihn mir weggenommen hatte.
Dennoch brach das Volk bei der Verkündung in Jubel aus. Sie feierten die Rückkehr eines starken und lebendigen Ägyptens. Armenien und die Kyrenaika waren Teil unseres Reiches gewesen, als unser mazedonisch-griechischer Vorfahr Alexander der Große und der Begründer unserer Dynastie, sein Heerführer Ptolemaios der Erste, vor fast dreihundert Jahren Ägypten erobert hatten. Seither hatten wir Griechen die Herrschaft inne. Und jetzt waren wir dank Tata stärker, als wir es seit Jahrhunderten gewesen waren.
»Zusätzlich«, ertönte Tatas laute Stimme, »übertrage ich Alexandros Helios und seiner Verlobten die Regentschaft über das gesamte Land Parthien!«
Ich merkte die unterschwellige Verwunderung kaum, die durch die Menge ging, das Flüstern: »Wie kann der Imperator Land verteilen, das er noch gar nicht erobert hat?« Aber schließlich war mein Tata der beste Feldherr der Welt. Natürlich würde er Parthien erobern!
Dann wandte sich Tata meinem älteren Halbbruder, Caesarion zu, dem einzigen Sohn Julius Caesars, dem ersten Ehemann meiner Mutter. Mit seinen dreizehn Jahren war Caesarion schlank und groß gewachsen, und ich fand, er sah phantastisch aus in dem Gewand und mit dem Brustschmuck eines Pharao, zu dem er den blutroten römischen Umhang seines Vaters trug.
»Ptolemaios XV. Philopator Philometor Caesar«, rief Tata. »Ich ernenne dich zum wahren Erben und einzigen Sohn von Gaius Julius Caesar. Und ich ernenne dich hiermit zum König von Ägypten!«
Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass mein Bruder das Kinn hob und mein Herz war von Liebe und Stolz erfüllt. Mein Bruder, der König! Der König von Ägypten!
Doch wieder lief ein besorgtes Murmeln durch die Menge, gefolgt von einem geflüsterten Namen, den ich damals noch nicht kannte. Octavian. Ich blinzelte verwirrt. Warum trug das Volk einen römischen Namen auf den Lippen, während Caesarion zu seinem rechtmäßigen König ernannt wurde? Ich versuchte, das Gemurmel zu verstehen: »Ist nicht Octavian der eigentliche Erbe Caesars?« »Will Antonius ihn herausfordern?« Der eine oder andere in der Menge machte sogar das Zeichen zum Schutz vor dem Bösen.
Ich warf einen raschen Blick zu Mutter hinüber. Sie atmete so aus, dass es wie ein Zischen klang. Und obwohl ihr Gesicht den Ausdruck königlicher Ungerührtheit bewahrte, sah ich doch, wie sich ein Hauch von Besorgnis auf dem kleinen Fleck zwischen ihren Augenbrauen festsetzte. Aber vielleicht war das auch nur eine Täuschung des grellen ägyptischen Sonnenlichts, denn als ich erneut hinsah, war Mutters Gesicht wieder genau so majestätisch und vollkommen ungerührt wie zuvor.
Tata schaute zu Mutter und seine Augen lächelten, bevor er sich wieder der Menge zuwandte. »Meiner Gattin, Kleopatra VII. Philopator, Königin von Ägypten und Beherrscherin aller Königreiche, die heute verliehen wurden …« Tosender Beifall, Rufe und Freudenschreie unterbrachen ihn, fast so, als wäre das Volk froh, sich dem zuzuwenden, was es kannte und liebte. Der Jubel wurde immer lauter, bis ich seine Vibrationen in meinem Brustkorb spüren konnte. Mutter rührte sich nicht, während die ganze Stadt einstimmte: »Isis! Isis! Heil, dir, Isis! Isis, unsere Königin!«
Als sich die Welle des Jubels gelegt hatte, hob Tata wieder an: »Heute«, so dröhnte seine Stimme, »ernenne ich meine Gattin zur ›Königin der Könige‹, zur Herrin der
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