1398 - Tänzer, Tod und Teufel
Alle waren schon gegangen, nur Burna nicht. Sie hatte sich versteckt und war in den schmalen Spind gekrochen. Keine leichte Aufgabe, doch sie hatte es geschafft. In diesem Versteck hockte sie mit hochgezogenen Beinen, den Rücken gegen eine Seitenwand des Spind gepresst und zitternd.
Die Tür des Spinds schloss nicht ganz dicht. Durch einen schmalen Spalt fiel ihr der Blick nach draußen, wo sich das fahle Licht ausgebreitet hatte und von den gefliesten Wänden reflektiert wurde. So wirkte es heller, als es in Wirklichkeit war.
Burna lief der Schweiß über die Stirn. Wenn jemand davon sprach, Blut und Wasser zu schwitzen, so konnte sich die Frau das jetzt vorstellen. Aber bei ihr war es eben nur der Schweiß, und der roch leider, was ihr gar nicht gefiel – und dafür sorgen konnte, dass derjenige, der bald hier erscheinen würde, den Weg zu ihr fand.
Dass er kommen würde, stand für sie außer Frage. Es gab keine andere Lösung. Sie hatte sich schuldig gemacht und würde auf eine grausame Art und Weise ihre Strafe erhalten, denn sie würden IHN schicken. IHN, der das Ritual beherrschte.
Noch war nichts von ihm zu hören. Burna dachte daran, dass sie unter Umständen einen Fehler begangen hatte. Sie hätte mit den anderen Frauen die verdammte Wäscherei verlassen sollen. Getan hatte sie das nicht, und nun steckte sie fest.
Die Kolleginnen waren längst zu Hause bei ihren Männern und Kindern. Nur sie klemmte in diesem verdammten Spind fest und lauerte auf die letzte Chance.
Obwohl er noch nicht da war, verhielt sie sich ganz still. Den Atem reduzieren oder ihn nach Möglichkeit für eine Weile anhalten.
Es klappte nicht immer. Ihr Innerstes war zu aufgewühlt. Zudem war die Luft in diesem verdammten Spind schlecht und stickig. Die Gerüche der Wäscherei hielten sich auch in diesem engen Raum. Sie waren eigentlich überall.
In dieser Welt arbeiteten die Frauen wie Sklaven, ausgenutzt von den eigenen Landsleuten, die zwischen Orient und Okzident pendelten und es immer wieder schafften, neue Arbeitskräfte in den Markt zu drücken, die sie im fernen Ostanatolien aufgegabelt hatten.
Die Arbeiterinnen erhielten Löhne, die den Namen kaum verdienten. Wer nur ein verkehrtes Wort sagte, der flog. Das war Burna nicht passiert, aber sie hatte sich trotzdem schuldig gemacht.
Und die Strafe für ihre Tat war kein Rauswurf, sondern der Tod.
Wie viel Zeit vergangen war, das wusste die Frau nicht, die eingeklemmt in diesem verdammten Spind hockte und als einziges Geräusch das Klopfen ihres Herzschlags hörte.
Plötzlich vernahm sie etwas anderes. Die Stille wurde von einem Geräusch unterbrochen, das bei ihr für Kälte und auch Hitze sorgte.
Es war das Schlagen der Tür, die zu den Umkleideräumen führte.
Das Geräusch war ihr bekannt, weil sie es schon unzählige Male vernommen hatte. Es gehörte praktisch zu ihrer täglichen Arbeit mit dazu.
Es war niemand gegangen, es war jemand gekommen, und genau das hatte sie erwartete.
Burna riss wieder den Mund auf. Aber der Schrei wollte nicht hervorkommen. Sie riss sich noch mal zusammen und wunderte sich über sich selbst, dass sie es schaffte, sich noch so stark zu beherrschen und nicht loszubrüllen.
Ihr Blick war auf den Türspalt gerichtet. Keine breite Öffnung, aber sie würde genau erkennen, wenn sich draußen in den gefliesten Flur etwas veränderte.
Noch hatte kein Schatten den Lichtschein durchbrochen, und sie versuchte sich vorzustellen, wo sich jemand aufhalten konnte. Hinter der Tür gab es eine Treppe. Drei Stufen führten in den tiefer gelegenen Umkleidraum. Waschbecken gab es hier nicht. Die Toiletten lagen ebenfalls woanders, und es gab auch keine Fenster, durch die der Blick hätte ins Freie fallen können. Wer hier unten arbeitete, musste sich lebendig begraben vorkommen.
Warten – lauern auf den Tod, der einen menschlichen Körper hatte und für Burna kein Mensch war. Sie sah ihn als Monster an, als ein furchtbares Wesen auf zwei Beinen, das keine Gefühle hatte oder zumindest keine, die sie verstehen konnte.
Das Monster bemühte sich nicht mal, leise zu sein. Es ging normal, und mit jedem Schritt kam es seinem Ziel näher.
Der Schweiß lief jetzt in noch dickeren Strömen am Gesicht der Eingeschlossenen nach unten. In ihrem Innern rumorte es. Sie musste jetzt atmen, es war ihr nicht mehr möglich, die Luft anzuhalten.
Und auch wenn er sie hörte, was spielte das noch für einen Rolle?
Er schien zu wissen, wohin er musste. So verdammt
Weitere Kostenlose Bücher