Mondschein, Kuesse Und Amore
Kolosseum genau so aus, wie sie es sich immer vorgestellt hatte.
„Das ist das Schöne an Rom“, sagte er achselzuckend. „Auch wenn ein Gebäude modern aussieht, darunter findet sich meist so etwas wie das hier.“
Offenbar war er diese Art von Bewunderung gewohnt. Hieß es nicht, dass Gewohnheit blind machte? Jedenfalls schien er nicht annähernd so beeindruckt wie sie. Ella hingegen war von der schieren Erhabenheit der Ruine hingerissen. Und sie war froh, dass Rico feinfühlig genug war, sie die Atmosphäre in sich aufnehmen zu lassen, statt sie durch Worte zu zerstören.
Sie ist ausgesprochen hübsch, dachte Rico, als er Ella betrachtete. Eine klassische englische Schönheit mit blasser Haut und blaugrauen Augen, das goldbraune Haar im Nacken zum Zopf gebunden. Ein altes Zitat kam Rico in den Sinn: non angli, sed angeli. Nicht Engländer, sondern Engel.
Ella Chandler war schön wie ein Botticelli-Engel. Besonders, weil sie sich dessen überhaupt nicht bewusst zu sein schien. Und sie strahlte eine natürliche Schönheit aus, nicht wie die meisten anderen Gäste in seinem Hotel: manikürt, frisiert und sonnenstudiogebräunt, als gäbe es kein Morgen.
Warum war sie allein in Rom? Er wusste, dass sie in der Honeymoon-Suite logierte, aber er wusste auch, dass sie sich als Miss und nicht als Mrs Chandler angemeldet hatte. Ob die Reise nach Rom ursprünglich als Hochzeitsreise geplant gewesen war? Vielleicht hatte ihr Verlobter sie in letzter Minute sitzen gelassen, und sie hatte beschlossen, allein zu kommen. Oder gab es einen anderen Grund?
Rico ermahnte sich, dass ihn das nichts anging. Er war heute nur ihr Fremdenführer, weil er die Rossi-Hotels regelmäßigen Qualitätsprüfungen unterzog, um sich zu vergewissern, dass die Gäste mit dem Service zufrieden waren. Und deshalb stand er jetzt mit Ella Chandler in der Schlange vor einer Sehenswürdigkeit, die sie schon seit vielen, vielen Jahren besuchen wollte, und machte ihre Träume wahr.
„Ich habe nicht damit gerechnet, hier lauter Gladiatoren und Kaiser zu sehen“, bemerkte sie lächelnd, als sie die verkleideten Gestalten entdeckte.
„Das schafft Atmosphäre“, bestätigte er. „Aber ich würde sagen, genieß einfach den Anblick. Es sei denn, du willst für ein Foto mit den Schauspielern ein Vermögen bezahlen.“
„Oh. Dann gehören sie gar nicht zum Kolosseum?“ Sie wirkte enttäuscht und ein bisschen misstrauisch.
„Nein, die machen das auf eigene Rechnung. Und manchmal können sie ganz schön aufdringlich sein. Aber bei dir werden Sie nicht aufdringlich sein, weil du mit mir hier bist.“ Er lächelte. „Und ich mache so viele Fotos für dich, wie du willst. Gehört alles zum Service.“
„Danke.“
Nachdem er den Eintritt gezahlt hatte, führte Rico sie herum, zeigte ihr, wo die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten gesessen hatten. Er machte Fotos von ihr, vor den ikonischen Bögen des Kolosseums, in der Arena, in den Kellergeschossen. Obwohl sie eine Sonnenbrille trug, konnte er erkennen, dass ihr Lächeln die Augen erreichte. Und ihre Freude war ansteckend. Für ihn war es eigentlich nur irgendein Bauwerk in der Nähe seines Hotels. Doch durch Ella sah er es mit neuen Augen. Und er sah, was sie sah: eine spektakuläre Sehenswürdigkeit, mehr als nur das ikonische Symbol der ganzen Stadt. Es war ihr Mittelpunkt. Kaiser hatten hier grausame Spiele veranstaltet und die ganze Stadt dazu eingeladen. Das einfache Volk hatte hier Löwen, Bären und Elefanten gesehen, die ihnen im Alltag nie begegnet wären.
Im zweiten Stock führte er sie durch eine vorübergehende Ausstellung. „Neben den schriftlichen Quellen, die wir haben, vermitteln uns die Wandmalereien einen ganz guten Eindruck von dem, was die Leute hier zu sehen bekamen.“ Er zeigte ihr einen in Stein geritzten, sprungbereiten Wolf und einen Gladiator, der mit einem Netz kämpfte. Ella schob die Sonnenbrille ins Haar, damit sie besser sehen konnte, und das blanke Staunen in ihren Augen faszinierte Rico. Wie lange war es her, dass ihn irgendetwas so begeistert hatte? Er konnte sich nicht erinnern …
Mit dreißig war Rico viel zu zynisch für sein Alter – und er wusste es.
Nicht, dass er sich darüber den Kopf zerbrach. Dazu hatte er keine Zeit. Er musste ein Imperium führen.
Als sie das Kolosseum verließen, führte Rico sie am Konstantinsbogen vorbei. „Das hier ist meine Lieblingsperspektive vom Kolosseum“, sagte er und ließ ihr Zeit, sich umzudrehen und den
Weitere Kostenlose Bücher