Moni träumt vom großen Glück
Ein Hundertmarkschein
An meinem siebzehnten Geburtstag fing es an.
Ich kann nicht sagen, wer eigentlich schuld an dem ganzen war. Vielleicht war es mein Opa, vielleicht war es der Vater von Melitta, oder vielleicht nur das unergründliche Schicksal.
Ich bin am 15. August geboren, und in diesem Jahr war der 15. August ausgerechnet der letzte Tag unserer Sommerferien. Mutti und ich waren gerade zurückgekommen von unserem gewohnten Sommerbesuch bei Tante Hilde. Es ist schön bei Tante Hilde, und es ist für uns ein Segen, daß wir eine feste Einladung haben, immer den Urlaub auf ihrem Hof zu verbringen. Dort haben wir Landluft, dort gibt es Gelegenheit zum Schwimmen, dort bekommen wir ein schönes, kräftiges, bäuerliches Essen. Wir haben es dort überhaupt gut. Aber offen gesagt, übermäßig spannend sind unsere Ferienreisen nicht. Ein bißchen neidisch bin ich schon, wenn meine beste Freundin Inge von einem Sommerurlaub in der Schweiz erzählt oder Ruth von einer Mittelmeer-Kreuzfahrt, geschweige denn Melitta, wenn sie mit ihren Eltern in einem schicken Wagen kreuz und quer über die Europakarte gefahren ist. Nicht, daß ich mich beklage, ich weiß sehr wohl, wie gut es uns geht, Mutti und mir. Obwohl Vati vor vielen Jahren starb, haben wir noch unser kleines Häuschen, und Mutti arbeitet bei der Bundespost; oder ganz genau gesagt: im Fernmeldeamt. Wir können uns keine großen Sprünge leisten, aber wir haben ein nettes Heim, wir essen gut, wir sind anständig angezogen und haben eben jedes Jahr einen wirklich schönen und erholsamen Sommerurlaub bei Tante Hilde. Da muß man zufrieden sein!
Aber zurück zu meinem 17. Geburtstag. An diesem Tage hatte Mutti ausgerechnet Vormittagsdienst und den Nachmittag frei. So kam es, daß mein Geburtstagstisch erst am Nachmittag aufgebaut wurde. So etwas kann Mutti fabelhaft. Ihre Geburtstagstische mit den frischen Blumen und mit den hübsch eingepackten Geschenken, mit Kerzen und selbstgebackenem Kuchen, die schaffen sofort die richtige Geburtstagsstimmung.
Ich stand also vor meinem Tisch und freute mich an den kleinen bunten Kerzchen, die Mutti in die Torte gesteckt hatte.
Und dann entdeckte ich unter den vielen kleinen, bunten Päckchen einen Brief. Einen weißen Brief, der gegen das große Lebenslicht gelehnt stand. Ich erkannte sofort Opas Handschrift, diese zierlichen gotischen Buchstaben, die ich einfach habe lernen müssen, um Opas Briefe entziffern zu können.
Merkwürdig, dachte ich, ein Brief von Opa? Sonst ist doch immer ein Paket von ihm da!
Ich war neugierig. Bevor ich mir meine Pakete ansah, machte ich den Brief auf. Und da verschlug es mir den Atem. Außer dem Brief hielt ich nämlich einen blauen Hundertmarkschein in der Hand, einen strahlend, sozusagen fabrikneuen Hundertmarkschein. Es war der erste meines Lebens!! – Ich glaube, es dauerte zwei Minuten, bis ich mich so weit erholt hatte, daß ich den Brief lesen konnte.
„Mein liebes Monilein,
einmal in meiner Jugend, und das ist sehr lange her, gelang es einem übereifrigen Versicherungs-Vertreter, mich zu überreden, eine Lebensversicherung abzuschließen. Ich weiß noch ganz genau, was er sagte. ,Denken Sie sich’, sagte er, ,wenn Sie nur die erste Prämie bezahlt haben und Sie dann gerade sterben, dann bekommt Ihre Witwe sofort 5000 Mark.’ Für einen jungen Mann von noch nicht 30 Jahren ist es natürlich nicht besondersschön zu hören, daß seine blühende junge Frau ,Witwe’ genannt wird. Aber immerhin, der Mann überzeugte mich. Und obwohl das Geld damals bei mir sehr knapp war, schloß ich also eine kleine Lebensversicherung über 5000 Mark ab. Nun, Deine gute Omi wurde nie meine Witwe. Sie bekam nie das Geld, dafür etwas anderes: eine lange – und ich darf wohl sagen – glückliche Ehe. Der das Geld bekam, das war ich selbst! Und zwar im vorigen Monat, kurz nach meinem siebzigsten Geburtstag. Fünftausend Mark. Da habe ich mir überlegt: Wie verwende ich es am besten? Und ich bin zu folgendem Resultat gekommen: Ich habe sicherheitshalber noch einmal meine Enkelkinder an den Fingern abgezählt, und wie ich erwartete, reichten die Finger grade aus. Ich wurde ganz sentimental dabei. Komisch, daß jeder meiner alten, knorrigen Finger ein junges, blühendes Menschenkind vertritt! Nun möchte ich jedem dieser blühenden Kinder hundert Mark schenken, und zwar zum ersten Geburtstag nach dieser Auszahlung. Du bist die erste, die Geburtstag hat, mein Monilein.
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