Moni träumt vom großen Glück
Küche zu hantieren, alles blitzsauber zu halten. Ich liebte es, das leise Summen vom Teekessel und das Brummen in den Kochtöpfen zu hören. Besonders liebte ich es aber, wenn Mutti am Tisch sagte: „Sehr gut, Moni, dies ist dir wirklich gelungen!“
Ich liebte es aber auch, Mutti zum Dienst zu fahren. Sie kletterte wie ein adrette Siebzehnjährige auf den Soziussitz, und es machte ihr einen Heidenspaß.
„Eins sage ich dir, Moni“, meinte sie. „Wenn du und Marc euch eines Tages ein Auto leisten könnt, dann schenkst du mir dein Moped!“
„Und einen Gutschein für Fahrunterricht“, versprach ich lachend.
In Köln schuftete Marc, er stand mitten im Examen. Ich drückte die Daumen, daß sie blau und gelb wurden.
Eines Tages war es soweit.
Mutti war im Dienst. Ich war dabei, zum ersten Mal in meinem Leben ein Risotto zu bereiten. Da klingelte das Telefon.
„Ein Telegramm für Fräulein Monika Hasseldorf“, sagte eine weibliche Stimme. „Ist sie selbst zu sprechen?“
„O Mutti, du alte Foppliese! Schnell, schnell!“
„Zuerst deine Entschuldigung, weil du deine Mutter eine Foppliese nennst!“
„Ja, ja, auf meinen Knien! Tausend Entschuldigungen, lies nun endlich!“
„Also hör gut zu: Mit Eins bestanden. Kuß. Marc.“
„Oh, Mutti!“
„Soll ich es wiederholen?“
„Ja, Mutti. Bitte. Zehnmal. Hundertmal!“
Ich saß vor meinem kleinen Schreibtisch, ganz allein, ganz still, von großem, leuchtendem Glück erfüllt. Ich wollte Marc schreiben. Oder würde ihn ein Brief nicht mehr erreichen? Vielleicht war er schon unterwegs hierher? Ach nein, er mußte ja seine Sachen packen, er wollte ja das Zimmer aufgeben. Natürlich, wenn ich noch heut abend den Brief einsteckte, würde er ihn ja morgen haben.
Ich öffnete die Schublade, um das „beste“ Briefpapier herauszuholen. Unter dem Karton lag mein Sparbuch.
Ich nahm es auf, öffnete es. Zum ersten Mal saß ich ganz ruhig, ohne abgehetzt zu sein, ohne fieberhaft zu rechnen – ich saß ruhig und unsagbar glücklich und sah mir die Zahlenreihen an.
Lange Reihen kleine Sümmchen eingezahlt. Da, fünfzehn Mark – das war ein Babysitten. Vier Mark – Fliederbeersäubern, oh, wie langweilig war das gewesen! Zehn Mark kurz nach Weihnachten, Geschenk von meiner Tante, damit ich mir „was Nettes“ kaufen könnte.
Kleine Sümmchen – und jedes Sümmchen bedeutete Arbeit, Verzicht, Müdigkeit. Jedes Sümmchen hatte ein Opfer gekostet, eine kleine Portion Selbstbeherrschung.
Am zwölften April vorigen Jahres: Auszahlung neunhundertachtzig Mark.
Ja, was dieser Posten mich gekostet hatte! An Zweifeln, Enttäuschung, an Opfern, an Tränen!
Dann ging es wieder aufwärts. Es folgten die schönen Einnahmen vom Café Elmenfrieden. Dann Walters pünktliche Raten. Die Summe wuchs, sie überschritt die tausendMark, die Nullen verschwanden, wurden durch andere Zahlen ersetzt, durch gebogene und eckige Zahlen, bis das schöne Kringelchen der Ziffer 8 erreicht war.
Opfer, Fleiß, Verzicht, Arbeit.
Für mich war das kleine dünne, blaue Büchlein in der abgegriffenen Hülle ein Roman. Es fehlte nur ein Titel auf der Vorderseite.
„Zwei Jahre meines Lebens“ oder „Mein Weg zum Glück“ oder so was.
Nein! Jetzt wußte ich:
„Moni und das liebe Geld“ müßte das Buch heißen. Das kleine dünne, blaue Buch.
Meine Augen ruhten auf der letzten Zeile.
Guthaben: Drei Mark und vierundfünfzig Pfennig.
Ich sah mir die Summe wieder an.
Drei Mark und vierundfünfzig Pfennig. Das war alles, was ich besaß. Und ich war der glücklichste Mensch auf der Welt.
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