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Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Titel: Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jaeckel
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vorwärts kommen sollte. Nichts hatte sie sich gegönnt. Alles, was sie sich vielleicht im Leben für sich selbst gewünscht hatte und aus irgendwelchen Gründen nie bekam, all das hatte sie ihren Kindern zu verschaffen versucht. Für ihre Kinder hatte sie alles ertragen, sogar meinen Opa.
    Und jetzt? Jetzt sah sie plötzlich, dass ihre Tochter Lena das ganze schöne Geld für Schulausbildung und Musikunterricht nicht wert gewesen war. Statt ihre so teuer bezahlte Chance zu nutzen, hatte diese alles vertan, hatte sich dem erstbesten Kerl an den Hals geworfen und sich zu allem Unglück auch noch ein Kind von ihm »andrehen« lassen. Alle Anstrengungen waren umsonst gewesen! Und als ob es damit nicht schon genug wäre, hatte Lena auch noch Schande über die Familie gebracht. Die Leute zeigten mit Fingern auf sie: »Ach, kocht euer vornehmes Fräulein Tochter also auch bloß mit Wasser?« – »Den dicken Bauch hättet ihr billiger haben können!« – »Das musste ja so kommen! Ihr mit eurem Bildungsfimmel!«
    Für Oma Berta muss das ziemlich schlimm gewesen sein. Sie war immer so stolz gewesen auf ihre klugen Mädchen. Jedem hatte sie erzählt, dass diese es einmal zu etwas bringen und ihrer alten Mutter eines Tages aus Dankbarkeit alles doppelt und dreifach zurückgeben würden. Dass daraus bei meiner Mutter nun nichts mehr würde, war für jedermann ersichtlich.
    Eine Zeit lang wagte sich meine Oma kaum mehr unter Leute. Sie schämte sich vor der Verwandtschaft, den Nachbarn und Freunden, hasste deren Besserwisserei und ungebetene Ratschläge.
    Ihre ganze Energie hatte sie darauf verwandt, nach außen hin den Anschein einer ordentlichen Familie zu erwecken und aufrechtzuerhalten. Es hatte ihr nichts ausgemacht, deswegen von den Nachbarn für eingebildet und hochnäsig gehalten zu werden. Sie wusste ja, warum und für wen sie sich abrackerte.
    Oder wusste sie es nicht?
    Hatte Oma Berta wahrhaftig keine Ahnung, was vorging?
    Klappte das Versteckspiel ihres Mannes so perfekt, dass sie nie merkte, was er seinen Töchtern antat?
    Oder wollte sie es nicht merken? Wollte sie von den sexuellen Übergriffen auf die Mädchen nichts wissen, um sich nicht damit auseinander setzen zu müssen?
    Hätte sie es sonst vielleicht nicht ertragen, mit einem solchen Mann verheiratet zu sein?
    Ich glaube einfach nicht, dass sie nichts gewusst hat! Eine Mutter merkt, wenn ihr Kind leidet. Eine Mutter sieht, wenn sich ihr Kind verändert, wenn es plötzlich unruhig schläft, viel weint, vielleicht stiehlt oder lügt, Ausschlag bekommt, blaue Flecke hat ... Eine Mutter spürt, was vor sich geht – weiß sie es nicht, so will sie es nicht wissen.
    Vielleicht weil ihr der Verdacht zu ungeheuerlich erscheint, als dass sie ihn gegen den Vater aussprechen könnte?
    Weil sie lieber dem Kind Lügen unterstellt als dem Vater?
    Weil sie den Vater mehr liebt als die Tochter?
    Weil sie mit einem Mann, der so etwas tut, nicht leben könnte, aber unbedingt mit ihm leben will?
    Verschließt eine Mutter deshalb die Augen und ihr Herz vor dem Elend ihrer Kinder?
    Wahrscheinlich begreife ich es nie – ganz gleich, wie oft ich darüber nachdenke.
    Vielleicht vertraute Lena oder eine ihrer Schwestern sich der Mutter ja sogar irgendwann an. Ich weiß, dass man als Kind die Heimlichkeit kaum ertragen kann. Man versucht, sich zu offenbaren. Man gibt Zeichen, spricht wortlos, weil einem die Worte fehlen. Man hat ja keine passenden Ausdrücke parat. Man hat sie nicht gelernt, weil niemand auf die Idee käme, einem Kleinkind Wörter wie Geschlechtsverkehr oder Sperma beizubringen.
    Was man als Kind mitteilt, sind Bilder, unzureichende Umschreibungen. Die muss der andere verstehen wollen. Wer nicht verstehen will, kann sich vielleicht einreden, das Kind habe eine verrückte Fantasie und beziehe nur auf sich selbst, was es in einer Zeitung gesehen habe oder im Fernsehen.
    Ich konnte nie in Erfahrung bringen, was meine Oma gewusst, was sie gedacht hat. Selbst während meines Prozesses gegen meinen Vater, in welchem sie trotz ihres hohen Alters als Zeugin befragt wurde, wollte sie von dem, was tatsächlich geschehen war, nichts wissen. So wie sie die sexuellen Übergriffe ihres eigenen Mannes auf seine Töchter nie wahrhaben wollte, so bestritt sie vor Gericht, dass mein Vater mir etwas angetan habe. »So etwas tut mein Schwiegersohn nicht!«, sagte sie. Und sie fügte hinzu, man hätte mir öfter mal eine Ohrfeige verpassen sollen, dann wäre es nie so weit mit mir

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