Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter
Vielmehr bin ich sicher, dass sie damit auch auf ihre Ehe anspielte.
Hätte meine Mutter sich auch dann in meinen Vater verliebt, wenn sie nicht dieses für wertlos erklärte »gefallene« Mädchen gewesen wäre? Oder akzeptierte sie ihn nur deswegen, weil sie nichts Besseres mehr zu erwarten hatte als einen kleinen Handwerker?
In der Zeit zwischen 1964 und 1971 nahm mein Vater irgendwann an einem Meisterkurs teil. Den kaufmännischen Teil klammerte er in der Abschlussprüfung zwar aus, alles andere aber bestand er mit Erfolg. Kam dieser Ehrgeiz, sich zum Meister fortzubilden und in der Folgezeit immer verantwortungsvollere Posten zu übernehmen, aus meinem Vater selbst? Als Schüler war er zwar begabt, aber alles andere als fleißig gewesen. Hatte mein Vater sich so verändert? Oder war sein plötzlicher Ehrgeiz auf den Einfluss meiner Mutter zurückzuführen, die immer noch höher hinaus und ihren Eltern beweisen wollte, dass sie doch keine Versagerin war? Trieb meine Mutter meinen Vater damals ebenso an wie später uns Kinder, damit wir lernten und nochmals lernten?
Vermutlich werde ich nie begreifen, was damals in meiner Mutter vorging. Ich gebe mir, ehrlich gestanden, auch keine Mühe. Ich will diese Frau letztendlich nicht verstehen.
Lena B. hat mich geboren. In meinen Papieren, die sie mir bis heute verweigert, steht geschrieben, sie sei meine Mutter. Aber sie ist es nicht wirklich. Diese Frau hat mich verraten, verlassen und verkauft. Sie hat mich gedemütigt und benutzt. Es war ihr gleichgültig, was aus mir wurde. Noch heute wünscht sie mir nur Böses, das Schlechteste der Welt. Selbst vor Gericht, als ich sie trotz ihrer Mitschuld an meinem Elend als Zeugin meines Vaters wiedersah, schrie sie mir im langen Wartekorridor zu: »Ich wünsche dir, dass du bis an dein Lebensende für das leiden musst, was du uns hier antust!«
Nichts hat diese Frau gelernt – nichts aus ihrer eigenen Vergangenheit, nichts aus meiner. Wofür sollte ich sie lieben?
Dafür, dass sie nach außen alles abgestritten hat, obwohl sie wusste, dass ich als kleines Kind die Wahrheit sagte? Dafür, dass sie mich nie um meiner selbst willen beschützt hat? Mich nie in den Arm genommen, nie getröstet hat? Nicht im Entferntesten ist es ihr in den Sinn gekommen, einmal für mich einzutreten. Stattdessen hat sie mich geschlagen, mit Händen und Füßen verprügelt, sogar auf offener Straße.
Ich hasse und verachte diese Frau. Nichts an mir soll sein wie sie. Warum also sollte ich versuchen, sie zu verstehen?
Wenn ich von ihr erzähle, dann nur, weil sie ein Stück meiner Vergangenheit und meiner Erinnerungen ist. Ein Stück, auf das ich liebend gern verzichten würde, wenn ich könnte.
Diese innere Distanz zu meiner Mutter war vermutlich der Grund dafür, dass es mir damals keineswegs merkwürdig vorkam, als Oma Berta mir angesichts des aufgeschlagenen Fotoalbums sagte, mein Vater sei der Retter ihrer Tochter Lena.
Für mich war mein Vater viel mehr als nur ein Retter und netter Mann. Für mich war er der wunderbarste Mensch der Welt, die Mitte meines Lebens, meine Zuflucht, mein Trost, mein Schutz. Ich liebte ihn, wie ich nie wieder einen anderen lieben werde. Und ich liebe ihn voller Verzweiflung noch heute.
Für meinen Vater war ich keine Enttäuschung, kein widerwärtig missratener Wechselbalg. Für ihn war ich genau das Kind, das er haben wollte. Seine Beste war ich, sein Ein und Alles, seine Liebste, seine Geliebte. Ja, auch das: seine Geliebte.
Seine Liebe hat mich zerstört, innerlich und äußerlich. Sie hat mich gebrandmarkt, mich gezeichnet für immer. Und doch hätte ich ohne seine Liebe meine Kindheit nicht überlebt. Ich brauchte das Gefühl, von ihm geliebt zu werden, um zu ertragen, dass meine Mutter mich nicht liebte. Wenn er mich im Arm hielt, wenn er mich streichelte und küsste, dann war mir egal, dass ich dafür bezahlen musste und was er von mir verlangte. Er war die einzige erwachsene Person, die mir Zuwendung und Zärtlichkeit gab. Gefühle, die ich so dringend brauchte. Ob ich mehr davon brauchte als andere Kinder? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich hungrig danach war, gestreichelt, im Arm gehalten, zärtlich geküsst zu werden. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel – ein anderes Maß lernte ich nie kennen.
Die Liebe, die mein Vater mir zunächst schenkte und später dann, Zug um Zug, verkaufte, war nicht die Liebe eines Vaters. Kein Lächeln, kein Zuhören, keine zärtliche Geste – nichts
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