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Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Titel: Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jaeckel
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doch der Blödste!«
    Wenn die Hausaufgaben abgefragt wurden, merkte ich immer wieder, wie gut meine Mutter die Fremdsprachen beherrschte. Vokabeln, Grammatik, alles fiel ihr leicht. Jedenfalls wusste sie viel mehr als ich. Sie hätte mir ohne Probleme helfen können, gute Zeugnisse zu bekommen. Aber ich bekam keine große Hilfe von ihr. Nur Kopfnüsse, Wutausbrüche, Schimpfkanonaden – davon gab es reichlich.
    Warum ich glaube, dass meine Mutter zu studieren begonnen hatte? Zunächst einmal deshalb, weil sie uns Kindern immer wieder vorwarf, sie hätte ihre Zukunft für uns geopfert. Eine Riesenkarriere als Konzertpianistin hätte auf sie gewartet. Zumindest aber hätte sie Musiklehrerin werden können. Doch ihr ganzes Leben sei dann durch die Kinder verkorkst worden. Weil in diesem Loch von Etagenwohnung kein Platz mehr für das Klavier gewesen sei und kein Geld vorhanden war, eine größere zu mieten, musste sie das Instrument hergeben. Wir Kinder würden den Eltern ja die Haare vom Kopf fressen!
    Zweitens hat Susanne, die jüngste Schwester meiner Mutter, mir bestätigt, dass Lena studiert hat. Ihr selbst hätte ich es sonst nie abgenommen. Ich hätte nie geglaubt, dass sie das Zeug dazu hatte. Aber Tante Susanne, die selbst Lehrerin und Oberstudienrätin war, sagte, es sei wahr. Sie hat sich jedoch nie näher dazu äußern wollen.
    Irgendwann in ihrer Studienzeit lernte meine Mutter dann einen jungen Mann kennen. Ob sie nicht an Verhütung dachte – ich weiß es nicht. Jedenfalls war meine Mutter plötzlich schwanger.
    Vielleicht hatte sie angenommen, ihr Freund werde sie nun heiraten. Davon war jedoch keine Rede. Er wollte nur eines: »Lass es abtreiben!«
    Er war in der Ausbildung, sie war in der Ausbildung. Beide hatten kein Geld. Für ihn war alles klar: Ein Kind passte nicht in die Planung. »Du, das Kind und ich – daraus wird nichts«, sagte er. »Wir bleiben zusammen, wenn du das Kind loswirst. Du hast die Wahl: entweder das Kind oder ich!«
    Meine Mutter war verzweifelt, er war wütend. Und dann kam der Moment, wo er meiner Mutter an den Kopf warf, sie sei selbst schuld an der ganzen Misere. »Eine wie du, die es sich schon von ihrem Vater hat besorgen lassen – von der sollte man annehmen, dass sie wenigstens weiß, wie sie richtig verhütet. Wenn du meinst, dass ich so eine abgehalfterte Alte nehme, nur weil sie ein Kind von mir kriegt, bist du auf dem Holzweg!«
    In diesem Moment, sagte meine Mutter einmal zu mir, habe sie beschlossen, dieses Kind auszutragen und zu behalten. Ihr sei auf einmal klar geworden, dass dieser Schuft sie nur benutzt, aber nicht geliebt habe. Sie sei innerlich wie tot gewesen und habe nur noch gewusst, dass sie ihr Kind beschützen müsse, weil der eigene Vater es töten lassen wolle. Sie habe nicht anders gekonnt: Sie musste ihr Kind gegen den Vater verteidigen.
    Meine Mutter trennte sich von ihrem Freund und lehnte jeden weiteren Kontakt mit ihm ab. Als Stefan geboren war, gab sie den Namen des Kindsvaters an. Jahrelang waren die Alimente alles, was sie von diesem Mann verlangte.
    Als die Schwangerschaft festgestellt wurde, war meine Mutter gerade 21. Ihr erster Ausbruchsversuch in die Freiheit war gescheitert. Es muss furchtbar für sie gewesen sein, ihren Eltern zu eröffnen, dass sie schwanger war und weder heiraten noch abtreiben wollte.
    Ich habe oft darüber nachgedacht, wie es mir wohl ergangen wäre, wenn ich selbst bei meinen Erzeugern hätte ankriechen müssen, um zu beichten, dass ich schwanger bin. Ich hätte mich lieber umgebracht! Mein Vater hätte mich vor Eifersucht glatt erschlagen. Und meine Mutter? Sie hätte sich nur in ihrer Meinung bestätigt gesehen, dass ich die totale Versagerin sei.
    Als meine Mutter schwanger war, erging es ihr wohl nicht viel anders. Ich weiß von ihr, dass sie verstoßen und geächtet wurde. Ihre Eltern sagten sich von ihr los. Sie musste ihre Ausbildung abbrechen, weil die Eltern sie nicht mehr unterstützten und auch für das Kind nicht aufkommen wollten. Ihr Traum von Liebe und Glück, von Konzertreisen und Bilderbuchkarriere oder Lehrerberuf und Freiheit war ausgeträumt.
    Wenn meine Mutter gehofft hatte, ihre Eltern im Verlauf der Schwangerschaft gnädig stimmen und ihre Ausbildung trotz des Babys fortsetzen zu können, so wurde sie bitter enttäuscht. Die Eltern verziehen ihr nicht, aus unterschiedlichen Gründen.
    Meine Oma fühlte sich irgendwie betrogen. Sie hatte auf so vieles verzichtet, damit meine Mutter

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