Monkeewrench 02 - Der Koeder
mit dem Guten, das die Menschen in die Waagschale zu werfen hatten, das Schlechte ein nur verschwindend geringes Gewicht hatte. Wenn man sein Leben als Polizist und die meisten seiner Tage auf der dunklen Seite verbrachte, war es wohltuend, an dieses willkommene Ungleichgewicht erinnert zu werden.
Bis zur allerletzten Minute versuchten Tim und Jeff noch zu bleiben. Sie boten an, die Nacht über auf dem Gelände die Runde zu machen. Auch wenn sie keinen Angriff abwehren könnten, so doch immerhin Warnsignale geben. Der Gedanke, dass diese beiden Kids im Dunkeln über das Gelände patrouillierten, verursachte Marty Gänsehaut, denn das Gefühl, es könnte etwas passieren, wurde von Minute zu Minute stärker.
Es ist das Wetter, dachte er, als er das Tor schloss, nachdem er die Jungs endlich in ihre Schrottautos gesetzt und zur Ausfahrt hinausgescheucht hatte. Noch konnte man die großen Wolken nicht sehen – nur einen weißen Dunstschleier, der wie ein schmieriger Film über der Sonne lag. Aber man spürte sie schwer im Brustkorb, so wie die Bleischürze, die einem beim Zahnarzt vor dem Röntgen umgelegt wurde. Die Luft war dick und schwer zu atmen, und die Blätter hingen schlaff an Bäumen und Büschen herab.
Marty schaute sich ein letztes Mal auf dem Parkplatz um, sah nur seinen Malibu, Jacks Mercedes sowie Beckers Streifenwagen und ging dann zufrieden um das große Gewächshaus herum zu den Anzuchtbeeten.
Lily Gilbert hatte seit jeher die geraden Linien gehasst, mit denen die Menschen seit ewigen Zeiten ihre Welt einteilten. Gerade Linien waren herrisch und unversöhnlich, Vorboten der Tyrannei. Reihen von Getreide, Reihen von Gebäuden und schlussendlich Reihen von Menschen, die stumm, reglos und furchtsam Aufstellung genommen hatten.
Der vordere Teil der Gärtnerei war so angeordnet – das Hauptgewächshaus ausgerichtet an der Straße, die Hecke ausgerichtet am Gehsteig, weiße Linien auf dem Parkplatz, die den Autos vorschrieben, wo sie zu stehen hatten. Lily hatte sich damit abgefunden, denn so war die Gärtnerei angelegt, als sie sie gekauft hatten. Aber hinten, wo Töpfe und Pflanzen von den Vorbesitzern in Reih und Glied wie untertänige Diener aufgestellt worden waren, da hatte Lily die Ordnung der geraden Linien zerstört und ein fröhliches Chaos geschaffen.
Wege aus kleinen weißen Kieselsteinen schlängelten sich wie schläfrige Trunkenbolde zwischen eingetopften Bäumchen und blühenden Sträuchern entlang und schlugen Bögen um die Beete mit winterharten Zuchtpflanzen – die «Mutterbeete», wie Morey sie genannt hatte, in denen die Samen einer einzigen Blume Hunderte von Sämlingen hervorbrachten, die im nächsten Frühling verkauft wurden. Im Hochsommer drängten sich um einige der Gehwege kleine Wälder aus Ziergräsern, die die Kinder überragten, welche sich kichernd unter die schwankenden, samenbeschwerten Blütenstände duckten, wenn sie den gewundenen Pfaden durch das herrlich ungeordnete Naturlabyrinth folgten, das Lilys Abscheu gegen gerade Linien und rechte Winkel geschaffen hatte.
Sie erwartete Marty auf einer Bank, die von Töpfen mit Flieder umgeben war. Sie hatte ein paar der Sträucher zum Blühen gebracht, damit die Kunden die Farbe sehen konnten, aber die meisten hatten noch keine Blüten, sondern waren gewöhnlich aussehende Pflanzen mit unauffälligen Blättern. Sie nannte sie Bauernpflanzen und war von heimlicher Freude erfüllt, wenn sich in jedem Frühling zwei kurze Wochen lang noch die unscheinbarsten von ihnen prunkvoll und herrschaftlich herausputzten.
Für einen Mann seiner Größe bewegte sich Marty leichtfüßig, aber in der Gärtnerei war es so still, dass Lily das Knirschen seiner Schuhe auf dem Kies schon lange gehört hatte, bevor sie sein Gewicht auf der Bank neben sich spürte.
«Ich werde versuchen, Jack zu überreden, für ein paar Tage ins Hotel zu ziehen», sagte Marty.
«Gut. Ich kann etwas Urlaub gebrauchen. Und du auch. Miete eine Suite mit Küche.»
«Ich hätte es lieber, wenn du Abstand zu Jack halten würdest, bis das hier vorbei ist, Lily.»
Sie wandte sich ihm zu. Meistens bewegte sich Lily so schnell, dass es unmöglich war, in ihr eine alte Frau zu sehen. Aber die Belastungen dieser Woche hatten ihr zugesetzt, und er bemerkte, dass das Alter die Illusion der Stärke von ihrem Gesicht gewischt hatte. Zum ersten Mal überhaupt erschien sie ihm wie ein sterbliches Wesen, schwach wie alle anderen auch. «Jack zieht ins Hotel, ich ziehe ins
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